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Perdido - Das Amulett des Kartenmachers

Titel: Perdido - Das Amulett des Kartenmachers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Stevens
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denn ihm wurden die Arme lahm, und außerdem hatte er Hunger. Er spähte in seine Wamstasche. Herkules hatte sich zu einem Fellknäuel zusammengerollt und schnorchelte leise im Schlaf. Hugo holte einen Schiffszwieback aus seinem Tornister, ließ die Beine über das Sims baumeln und stärkte sich. Von hier oben aus hatte man einen großartigen Blick über den schwarzen Fels und den violetten Strand, aber er hatte nicht die Muße, sich ausgiebig daran zu erfreuen.
    Doch als er wieder aufstand, stockte ihm das Blut in den Adern. Wie konnte er das übersehen haben? Nur auf Armlänge von ihm entfernt lag wie ein großes, dickes Federkissen ein Rattenvogel und schlummerte tief und fest. Das Vieh lag auf der Seite und hatte den hässlichen Kopf auf den Boden gelegt. Das Maul stand weit offen, die glitschige Zunge ringelte sich wie ein Aal über den Felsvorsprung.
    Hugo verlor die Nerven, griff nach dem Seil und trat in seiner Hast ein paar Geröllbrocken los, die polternd die Felswand hinunterkullerten. Der Rattenvogel erwachte und richtete sich jäh auf.
    Das Seil hing gerade außerhalb Hugos Reichweite. Er hörte den Flügelschlag des Untiers, als es sich auf ihn stürzte. Die eklige Zunge leckte ihm kitzelnd übers Ohr. Er wich unwillkürlich zurück, und ehe er das Seil zu fassen bekam, stürzte er auch schon in die Tiefe. Im Fallen drehte er sich, sodass er kopfüber abwärts sauste. Der Wind rauschte in seinen Ohren, der Tornisterschlug ihm gegen den Rücken und er ruderte verzweifelt mit Armen und Beinen. Gleich würde er sich auf dem violetten Strand das Genick brechen.
    Das war’s, dachte Hugo. Jetzt ist alles aus.

16. Kapitel
    H
ugo wurde an den Schultern gepackt und mit einem Ruck hochgehoben, dann hing er schlaff herunter wie Wäsche auf der Leine.
    Anscheinend hatte ihn ein anderer Rattenvogel gepackt. Hugo stellte sich vor, wie ihn das Vieh in sein Nest schleppte und in mundgerechten Portionen an seine Jungen verfütterte. Herkules war dann der Nachtisch. Da Hugo sich lieber das Genick brechen wollte, als von einem Vogel verfrühstückt zu werden, fing er an, sich zu wehren. Er strampelte mit den Beinen und wand sich. Er schlug mit den Fäusten nach dem Vogel.
    »Lass mich los, hässliches Rattenvieh!«, brüllte er. »Du frisst mich nicht, da hast du dich geschnitten!«
    »Mein lieber Junge«, sagte jemand über Hugos Kopf, »das mit dem ›hässlich‹ hab ich jetzt nicht gehört. Und nur, damit du’s weißt, ich würde lieber mein eigenes Fell fressen als ein schmächtiges Würmchen wie dich. Also halt gefälligst still und sei ein braver Junge, denn wenn du weiter so zappelst, sehe ich mich gezwungen, dich wieder den Skavagoren zu überlassen.«
    »Bist du denn kein Skavagor?« Hugo sträubte sich nicht mehr.
    »Du meine Güte, nein. Skavagoren sind das fliegende Gesindel, dem du entkommen wolltest, als du vom Felsen gestürzt bist. Ich habe übrigens noch nie so etwas Ungeschicktes gesehen wie deinen Fluchtversuch. Da macht ja jeder paukenschlagende Elefant weniger Lärm!«
    Hugo ließ verlegen den Kopf hängen, war jedoch viel zu gespannt, wer dieses erstaunliche neue sprechende Wesen wohl war, um lange zu schmollen.
    »Wenn du kein Skavagor bist, was bist du dann?«
    »Schau doch nach«, lautete die Antwort. »Zieh dich hoch und klettre an Bord.«
    Hugo reckte den Arm und hielt sich an der fellbedeckten Schulter des unbekannten Geschöpfs fest. Dann kletterte er an dessen Flanke hoch und schwang ein Bein über den Rücken. Als er wohlbehalten saß, griff er in das borstige Fell und hielt sich fest.
    »Na?«, fragte das Wesen. »Wonach seh ich denn nun aus?«
    Hugo musterte sein Reittier gründlich vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Unter dem dicken runden Bauch baumelten vier dünne Beinchen. Durch das schüttere, grobe schwarze Fell schimmerte gelbfleckige, rosige Haut. Am Hinterteil ringelte sich ein kurzer Schwanz.
    »Du siehst jedenfalls sehr ungewöhnlich aus«, stellte er fest.
    »Ungewöhnlich ist gar kein Ausdruck«, entgegnete das Tier. »Ich bin einzigartig!«
    Hugo beobachtete die beiden kleinen Flügel, die wie rasend flatterten. »Deine Flügel erinnern mich an Kolibriflügel. Sie sind ziemlich klein, oder?«
    »Ich ziehe die Bezeichnung ›zierlich‹ vor«, gab das Tier zurück. »Und was ist mit meinem Gesicht? Wie würdest du das beschreiben?«
    Das Tier wandte stolz den Kopf, sodass Hugo es im Profil sehen konnte – erst von links, dann von rechts. Das sonderbare Flugwesen besaß zwei

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