Perdido - Das Amulett des Kartenmachers
den Kopf.
»Du bist auch nicht mehr der Jüngste, was, Pigasus?«, warf Herkules spöttisch ein.
»Mir geht’s bestens«, schnaufte Pigasus. »Bin bloß ein bisschen müde. Meine Flügel sind nicht dazu gedacht, jemanden mitzubefördern, dazu sind sie zu klein.«
»Ach, klein würde ich sie nicht nennen«, sagte Hugo rasch. »Eher ›zierlich‹.«
Pigasus wandte den Kopf. »Ich glaube, wir beide können gute Freunde werden.«
Nach einer Weile merkte Hugo, dass Pigasus an Höhe verlor. Hinter dem Hedderwald stieg der Boden allmählich an. Geradeaus erkannte Hugo die gegenüberliegende Küste der Insel. Dort reichte eine Landzunge ins Meer hinaus. Dahinter lag die Nebelwand.
»Festhalten, wir gehen in den Landeanflug!«, kommandierte Pigasus. »Landen war noch nie mein Ding.«
»Ich glaube, jetzt ist der rechte Augenblick, wieder in deine Tasche zu kriechen«, wandte sich Herkules an Hugo.
»Bitte sehr!« Hugo hielt seine Tasche auf. Der kleine Nager hüpfte hinein und krabbelte bis ganz nach unten.
»Ich glaube, er ist wieder eingeschlafen«, stellte Hugo kurz darauf fest.
»Kann schon sein«, keuchte Pigasus. »Herkules ist das einzige mir bekannte Geschöpf, das noch mehr schläft als ich.«
Pigasus ging in den Sturzflug über, Hugo hielt sich mit aller Kraft fest. Als ihnen dicke sattgrüne Blätter um die Ohren peitschten, fing Pigasus mitten in der Luft zu rennen an. Da streiften seine Schweinshufe auch schon die Erde und er rannte in dem Bemühen zu bremsen weiter.
Hugo glaubte schon, die Landung sei glatt verlaufen, da blieb Pigasus mit dem Fuß an einem niedrigen Ast hängen. Er plumpste auf den Bauch und schlitterte durchs Gras. Dann drehte er sich, alle viere von sich gestreckt, einmal um sich selbst und zerdrückte dabei etliche junge Schösslinge sowie allerlei Blumen. Als er endlich zum Halten kam, steckte er mit dem Kopf in einem ausgesprochen dornigen Brombeerbusch.
»Alles klar?«, fragte Hugo atemlos. Er hatte während der gesamten Bruchlandung Todesängste ausgestanden.
»Klar wie Kloßbrühe!«, antwortete Pigasus und zog den Kopf aus dem Gestrüpp. »Obwohl ich gestehen muss, dass ich einen Augenblick lang schon dachte, es würde fürchterlich schiefgehen.«
»Ist es denn nicht schiefgegangen?«
»I wo«, sagte Herkules, dessen Barthaare aus Hugos Tasche lugten. »Da habe ich schon ganz andere Landungen erlebt.«
»Hat’s dir denn Spaß gemacht?«, erkundigte sich Pigasus.
»Äh … doch!«, erwiderte Hugo. »Es war einer der schönsten Flüge, die ich je erlebt habe.«
»Wie oft bist du denn schon geflogen?«
Hugo musste lachen. »Erst dieses eine Mal. Aber der Flug auf dir kommt auf jeden Fall unter die fünf besten.«
Sie standen am Fuß eines weiteren Felshangs, der fast senkrecht emporragte und dessen schroffer Rand bis an die Wolken reichte.
»Was nun?«, fragte Hugo. »Hier können wir doch auch nicht hochklettern.«
Pigasus feixte. »Gut beobachtet.«
Er sah sich mit witternder Schnauze und aufgestellten Ohren um. Als er sich davon überzeugt hatte, dass sonst niemand da war, schob er Hugo durch eine schmale Lücke zwischen zweiBüschen, die zu einer schmalen Klamm führte. Nach etlichen Windungen und Abzweigungen kamen sie auf einer Waldlichtung heraus. Hugo begriff, dass sie sich auf der anderen Seite des Bergrückens befanden.
»Leicht zu finden ist der Durchgang ja nicht gerade«, stellte er fest.
»Das hat seinen Grund«, bestätigte Pigasus. »Das Gebirge bildet eine Art natürliche Mauer, die diese Hälfte der Insel abtrennt. ›Schlupfwinkel‹ nennen wir ihn auch. Hier können sie uns nichts tun.«
»Wer denn?«
»Die Büffeloger«, sagte Pigasus Unheil kündend. »Wartet hier. Ich will nur eben den anderen Bescheid geben, dass wir Besuch haben. Bin gleich wieder da.«
»Ich komme mit«, rief Herkules, schlüpfte aus Hugos Tasche und saß mit drei Sprüngen auf Pigasus’ Kopf.
Bevor Hugo noch fragen konnte, wer oder was die Büffeloger waren, trabte Pigasus davon.
Viel früher, als Hugo erwartet hatte – genau genommen fast im selben Augenblick –, hörte er jemanden kommen. Da er bei Pigasus’ und Herkules’ Freunden einen guten Eindruck machen wollte, strich er seine Kleider glatt und fuhr sich übers Haar – wie seine Mutter es immer getan hatte, wenn sie auf Verwandtenbesuch gegangen waren.
Erst als er hinter sich einen Ast knacken hörte, fiel Hugo auf, dass der Jemand aus der falschen Richtung kam. Er drehte sich um und sah eine
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