Perdido - Im Bann des Vampirjägers
Ansprache hielt.
»… und dann, ohne dass ich auch nur einen Augenblick um mein eigenes Leben gefürchtet hätte, bin ich dem Büffeloger auf den Kopf geklettert und hab ihm eins über die Rübe gezogen!« Zur Veranschaulichung hieb er mit der geballten Pfote in die Luft. »Ihr müsst euch vorstellen, dass das Ungeheuer fast vier Meter groß war! Aber Körpergröße ist eben nicht alles. Jedenfalls ist das Vieh umgekippt wie ein nasser Sack.«
Der weiße Mäuserich blickte in die Runde. Zwölf schwarze Knopfaugen waren unverwandt auf ihn gerichtet.
»Muss ich noch deutlicher werden? Das Vieh war riesengroß! Ein echtes Scheusal!«
Sechs Schnäuzchen zuckten gespannt.
»Ich meine, das hört man doch schon am Namen: ›Büffel-Oger‹! Ihr wisst ja wohl, dass ein Oger ein grausamer, gefräßiger Riese ist, oder?«
Keine Antwort.
»Soll heißen, wenn ich einen fürchterlichen Büffeloger besiegen kann, braucht ihr euch ja wohl nicht vor Ratten zu fürchten. Und vor Katzen auch nicht. Noch Fragen?«
»…«
»Keine Fragen? Überhaupt keine?«
»…«
»Euch hat’s wohl die Sprache verschlagen, wie?«
Eine Maus scharrte mit dem Pfötchen auf dem Boden.
»Na schön, Jungs. War wirklich nett, sich mit euch zu unterhalten, aber ich muss jetzt weiter. Und nicht vergessen: bloß keine Bange vor Katzen. Im Grunde ihres Herzens sind das alles liebe kleine Miezekätzchen.«
Er legte die Ohren an und flitzte los.
Eine Frau kreischte: »Iiihhh – eine Ratte!«
Hugo beobachtete belustigt, wie die Leute nacheinander die Köpfe drehten, aufschrien und beiseitesprangen. Der kleine Nager kam auf Hugo zugetrippelt, huschte an der Kniebundhose des Jungen hoch und schlüpfte in seine Wamstasche.
Einige der Umstehenden sahen Hugo mit finsteren Mienen nach, als er sich umdrehte und davonschlenderte. Nachdem er sich weit genug von der Menge entfernt hatte, hielt er die Tasche auf und spähte hinein. Zwei schwarze Knopfaugen blinzelten ihn an, ein rosiges, schnurrbärtiges Schnäuzchen zuckte.
»Tag, Herkules!«, begrüßte Hugo seinen Freund. »Mach doch nicht immer so einen Wirbel! Warum kannst du nicht wie andere Mäuse und Ratten unauffällig den Rinnstein entlanghuschen?«
»Weil ich nicht wie andere Mäuse und Ratten bin«, gab Herkules spöttisch zurück. Die beiden hatten sich vor einem Jahr auf einer kleinen, verzauberten Insel mitten im Meer kennengelernt. Seither war Herkules dem Jungen nicht mehr von der Seite gewichen und sein allerbester Freund geworden.
»Schon, aber jedes Mal, wenn du eine Menschenmenge durchquerst, ist es, als würde sich das Rote Meer teilen.«
»Vielleicht war Moses ja in Wirklichkeit eine Maus.«
»Vielleicht hieß er in Wirklichkeit ›Mauses‹!« Hugo lachte und kraulte seinen Freund unterm Kinn. »Und was hast du den ganzen Tag so getrieben?«
»Ach, das Übliche«, erwiderte Herkules. »Mit ein paar Feldmäusen ein Schwätzchen gehalten.«
»Aber du probst hoffentlich nicht wieder den Aufstand, oder?«
»Kann’s mir verkneifen.« Herkules zwinkerte dem Jungen zu. »Trotzdem – die Katzen haben lange genug ein schönes Leben geführt. Ich sehe nicht ein, warum immer wir die Gejagten sein müssen! Höchste Zeit, dass meine verzagten Vettern etwas dagegen unternehmen. Aber die Mäuse in dieser Stadt sind so was von begriffsstutzig – ich könnte ebenso gut Selbstgespräche führen.«
»Vielleicht trauen sie sich bloß vor lauter Bewunderung nicht, das Maul aufzumachen«, meinte Hugo. »Oder es liegt daran, dass die Tiere in diesen Breiten nicht sprechen können.«
Inzwischen war es schon später Nachmittag. Die Budenbesitzer auf dem Marktplatz hatten bereits zusammengepackt. Nur ein einziger Obst- und Gemüsestand war noch da, außerdem eine kleine Schar spielender Jungen. Einer tat so, als stünde er am Schandpfahl, die anderen bewarfen ihn mit matschigem Obst. Hugo blieb kurz stehen und schaute zu.
»Na, wie viele Stadtpläne hast du heute verkauft?«, erkundigte sich Herkules und kletterte auf die Schulter seines Freundes.
»Meinst du insgesamt?«
»Ja.«
»Auch die, die ich schon heute Morgen losgeworden bin?«
»Klar.«
»Keinen einzigen.«
»Keinen einzigen?«
Hugo schüttelte betrübt den Kopf. »Dabei habe ich mir heute solche Mühe gegeben. Ich wollte etwas zu essen einkaufen. Onkel Walter sollte stolz auf mich sein. Aber ich habe wieder den ganzen Tag nur am Hafen gestanden und von Entdeckungsreisen in ferne Länder geträumt.«
»Der Tag ist noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher