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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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unter dem Tisch einen Kasten aus Leder und Teerholz hervor, stellte ihn auf die Tischplatte und öffnete den Deckel.
    Zum Vorschein kam ein dichtes, verwickeltes Geringel von Schläuchen und Drähten und Ventilen, die zusammen eine ungeheuer komplexe Apparatur ergaben. Obenauf lag ein albern aussehender Messinghelm mit einem trompetenförmigen Anbringsel an der Stirn. Eine lange, spiralige Schnur verband Helm und Kasten.
    Umma Balsum fasste den Helm mit beiden Händen und zögerte kurz, bevor sie ihn über den Kopf stülpte und den Kinnriemen zuschnallte. Von irgendwo aus den Eingeweiden der Maschine brachte sie eine große Kurbel zum Vorschein, die genau in eine hexagonale Öffnung an der Schmalseite des Kastens passte. Sie schob Derkhan den Kasten hin, dann verband sie den Apparat mit einer chymischen Batterie.
    »Okay.« Sie tupfte geistesabwesend einen Blutstropfen von dem Schnitt am Kinn. »Sie müssen jetzt die Kurbel drehen, bis die Batterie in Gang kommt. Anschließend behalten Sie sie im Auge. Sobald sie nachzulassen scheint, drehen Sie wieder die Kurbel. Reißt der Energiestrom ab, bricht nämlich die Verbindung zusammen, und wenn das so abrupt geschieht, riskiert Ihr Kollege, dass ihm das Gehirn koppheister geht – und was schlimmer ist, mir ebenfalls. Also gut aufpassen! Zweitens, sobald wir in Kontakt sind, sagen Sie ihm, er soll nicht herumlaufen, sonst ist meine Leine zu kurz.« Sie schüttelte das Kabel, das ihren Helm mit der Maschine verband. »Alles verstanden?« Derkhan nickte. »Prima. Geben Sie mir diesen Artikel, den er geschrieben hat. Ich will jetzt versuchen, in meine Rolle zu schlüpfen und eine Harmonisierung zu erreichen.«
    Umma Balsum stand auf und schob schnaufend ihren Sessel gegen die Wand. Sie nahm in der Mitte des frei gewordenen Platzes Aufstellung und wappnete sich merklich, dann zog sie eine Stoppuhr aus der Tasche, drückte den Knopf und nickte Derkhan zu.
     
    Derkhan drehte die Kurbel, glücklicherweise erforderte es keine große Kraftanstrengung. Sie fühlte im Inneren des Kastens geölte Räderwerke ineinander greifen, sich gegen ihren Arm stemmen, den esoterischen Mechanismus antreiben. Umma Balsum hatte die Stoppuhr auf den Tisch gelegt, hielt das LF in der rechten Hand und las flüsternd, mit schnellen Lippenbewegungen, Benjamins Artikel. Ihre linke Hand hielt sie leicht erhoben und die Finger tanzten eine vertrackte Quadrille, schrieben irgendwelche thaumaturgischen Symbole in die Luft. Unten angekommen, fing sie wieder von vorne an, eine pausenlose Litanei.
    Die Elyktrizität strömte die Spiralen des Kabels entlang und versetzte Umma Balsum einen sichtbaren Schlag; ihr Kopf vibrierte einen Moment lang. Sie ließ das Blatt fallen und fuhr fort, Benjamins Worte sotto voce aus dem Gedächtnis zu rezitieren. Dabei drehte sie sich langsam, schlurfend im Kreis, den Blick ins Leere gerichtet. Während dieser Phase gab es einen Moment, in dem die vorn an dem Helm angebrachte Trompete genau auf Derkhan zeigte. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte sie das Pulsieren seltsamer Ætheromentaler Wellen gegen ihre Psyche branden. Ihr wurde ein wenig schwindelig, trotzdem kurbelte sie, bis sie spürte, wie eine fremde Kraft zu wirken begann. Vorsichtig ließ sie los und beobachtete, wie die Kurbel selbsttätig weiter rotierte. Umma Balsum drehte sich, bis sie nach Nordwesten schaute, in die Richtung des von hier aus unsichtbaren Spike.
    Derkhan behielt die Batterie und den Apparat im Auge, um sofort einzugreifen, falls die Stromzufuhr nachzulassen drohte.
    Umma Balsum schloss die Augen. Ihre Lippen formten lautlose Worte. Die Luft im Raum schien zu singen wie ein Weinglas, wenn man mit dem Finger über den feuchten Rand strich.
    Plötzlich durchfuhr ein heftiger Ruck ihren Körper. Sie erschauerte. Ihre Lider hoben sich.
    Derkhan starrte die Communicatrix an.
    Umma Balsums strähniges Haar ringelte sich wie Würmer in einer Köderbüchse. Es hob sich von ihrer Stirn und schwang sich kühn nach hinten – der mit Brillantine geformten Tolle nachempfunden, die Benjamin zur Schau trug, wenn er nicht arbeitete. Eine wellenförmige Bewegung wanderte unter der Haut von den Füßen hinauf zum Kopf. Es war, als ob ein elyktrischer Strom ihr Fettgewebe durchströmte und dabei subtil umformte. Sie sah auf undefinierbare Weise anders aus. Sie war nicht dicker und nicht dünner als vorher, aber eine Modifikation des Gewebes hatte ihre Umrisse verändert. Die Schultern wirkten breiter. Das

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