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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Hunderten, Tausenden in der großen Stadt. Umma Balsum verdiente ihr Brot als Mittlerin, und ihr Mund hatte mit vielen Stimmen viele Geschichten von Verlust und Verrat und Folter und Leid erzählt.
    Für Derkhan lag ein gewisser obskurer, einsamer Trost in dem Wissen, dass Ihres und Bens Schicksal nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches war. Bens Tod würde kein spezieller Tod sein.
    »Hier, Liebchen.« Umma Balsum streckte Derkhan das Blatt Papier hin. »Zwei Mark plus fünf für die Verbindung, macht sieben. Dauer der Verbindung elf Minuten, das macht zweiundzwanzig Heller, summa zwei Mark zwei. Plus einen Nobel Gefahrenzuschlag und wir sind bei einem Nobel, neun Mark, zwei Heller.«
    Derkhan gab ihr zwei Nobel und ging.
    Sie hastete wie blind, betäubt, durch die schäbigen Gassen und gelangte in die belebteren Bezirke, wo die Leute, die vorbeigingen, mehr waren als verstohlene Gestalten, die eilig von Schatten zu Schatten huschten. Passanten drängten sich vor Marktbuden und sammelten sich um Anpreiser billiger und zweifelhafter Heilmittel. Irgendwann in dem Gewühl merkte sie, dass sie unbewusst die Richtung zu Isaacs Arbeits- und Wohnstätte eingeschlagen hatte. Er war ein enger Freund und so etwas wie ein politischer Gesinnungsgenosse. Auch wenn er Ben nicht kannte, nicht einmal dem Namen nach, er würde das Ausmaß dessen begreifen, was geschehen war. Vielleicht hatte er eine Idee, was man tun konnte – und wenn nicht, nun, Derkhan wollte sich auch mit einem starken Kaffee und etwas tröstendem Zuspruch zufrieden geben.
    Die Tür zu seinem Labor war abgeschlossen. Auf ihr Klopfen rührte sich nichts. Derkhan hätte am liebsten geschrien. Schon war sie im Begriff, sich abzuwenden und zu Hause allein ihre Trauer zu bewältigen, da fiel ihr ein, wie Isaac mehrmals von irgendeiner Spelunke am Flussufer geschwärmt hatte: seine Stammkneipe, Das Tote Kind oder so ähnlich. Sie bog in die schmale Gasse neben dem Lagerhaus und schaute den Uferweg hinauf und hinunter, Betonplatten in Zweierreihe, gesprengt und grün geädert von kämpferischer Vegetation.
    Die trüben, plätschernden Wellen des Canker schwemmten ihre Fracht an organischem Unrat gen Osten. Das jenseitige Ufer war überwuchert von Dornengestrüpp und Schlingpflanzengräsern. Ein Stück nördlich, auf Derkhans Seite, duckte sich neben dem Weg ein heruntergekommenes Etablissement. Sie ging zögernd darauf zu und beschleunigte ihren Schritt, als sie das verwitterte, abblätternde Wirtshausschild sah: Das Sterbende Kind.
    Hinter der Tür empfing sie ein feuchtwarmes Halbdunkel, doch in der hinteren Ecke, halb verdeckt von den zusammengesunken dahockenden Wracks – Menschen, Vodyanoi, Remade –, saß Isaac.
    Er unterhielt sich halblaut, erregt, mit einem anderen Mann, der Derkhan vage bekannt vorkam, einer von Isaacs Freunden, ebenfalls Wissenschaftler. Jetzt hob Isaac den Blick, entdeckte sie, stutzte und riss die Augen auf. Sie rannte fast zu ihm hin.
    »Isaac, ’flixt, ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe…«
    Während sie die Worte hinaussprudelte, beide Hände in das Revers seiner Jacke gekrallt, wurde ihr schlagartig bewusst, dass er sie ohne Wiedersehensfreude anstarrte. Was sie noch hatte sagen wollen, erstarb ihr auf den Lippen.
    »Derkhan – bei Jabber …«, sagte er. »Ich – Gottschiet, Derkhan, wir haben ein Problem … Es ist etwas passiert und ich …« Er wand sich vor Verlegenheit.
    Derkhan schaute ihn fassungslos an. Die Knie wurden ihr weich, sie plumpste neben ihm auf die Bank. Es war eine Kapitulation. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte die Hände über die Augen, die plötzlich voller Tränen standen.
    »Ich habe gerade von einem lieben Freund und Mitstreiter Abschied genommen, den man zu Tode foltern wird, und mein halbes Leben liegt in Scherben und ich weiß nicht wieso; und ich muss eine gottverdammte Doktor Barbile finden, Jabber weiß wo, um zu erfahren, was eigentlich los ist, und ich komme zu dir, weil – weil ich glaube, dass du mein Freund bist, und du sagst mir, du bist – beschäftigt … «
    Tränen quollen unter ihren Fingern hervor und liefen über ihre Wangen. Derkhan wischte sie mit einer heftigen Bewegung weg und schniefte. Als sie kurz den Blick hob, merkte sie, dass Isaac und dieser andere Mann sie anstarrten, mit einer angsteinflößenden, absurden Intensität.
    Isaacs Hand kroch über die Tischplatte und umfasste ihren Arm.
    »Wen musst du finden?«, zischte er.

 
KAPITEL

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