Perdido Street Station 01 - Die Falter
nieselte durch das geborstene Oberlicht auf das traurige Skelett der Presse.
Derkhans Gesicht wurde hart. Sie suchte mit fiebriger Akribie und fand kleine Beweisstücke, Indizien, dass hier einmal die Wohnung eines Menschen gewesen war. Jetzt packte sie sie aus und legte sie eins nach dem anderen vor Umma Balsum auf den Tisch.
Sein Rasiermesser; an der Klinge klebten noch ein paar Stoppeln und etwas Blutrost. Die Fetzen einer zerrissenen Hose. Ein Stück Papier mit seinem Blut daran, von einem Fleck an der Wand abgerieben. Die beiden letzten Ausgaben des LF, unter seinem Bett hervorgezogen.
Umma Balsum schaute zu, wie das traurige Sammelsurium zum Vorschein kam.
»Wo ist er?«, fragte sie.
»Ich – ich nehme an, im Spike.«
»Tja, das kostet Sie von vornherein einen Nobel zusätzlich«, sagte Umma Balsum schroff. »Ich lege mich nicht gern mit den Hütern des Gesetzes an. Erklären Sie mir Ihre Mitbringsel.«
Derkhan zeigte ihr die einzelnen Gegenstände. Umma Balsum nickte kurz zu jedem; die Exemplare des LF betrachtete sie mit besonderer Aufmerksamkeit.
»Er hat dafür geschrieben?«, fragte sie und befühlte die Zeitung.
»Ja.« Dass er der Herausgeber gewesen war, behielt Derkhan für sich. Sie scheute sich, das Gebot der Verschwiegenheit zu brechen, obwohl man ihr versichert hatte, die Communicatrix sei vertrauenswürdig. Umma Balsum bezog den größten Teil ihrer Einkünfte, indem sie Kontakt zu Personen im Gewahrsam der Miliz herstellte. Der Ruf der Schwatzhaftigkeit hätte sie die Existenz gekostet. »Das«, Derkhan zeigte auf den Leitartikel mit der Überschrift Unsere Meinung, »stammt von ihm.«
»Sehr gut. Schade, dass Sie nicht das Originalmanuskript haben, aber hiermit kann ich auch leben. Gibt es noch irgendwelche besonderen Merkmale?«
»Er hat eine Tätowierung auf dem linken Bizeps. So sieht sie aus.« Derkhan reichte ihr die Skizze hin, die sie von dem Anker mit kunstvoll umgeschlungenem Tau angefertigt hatte.
»Seemann?«
Derkhan lächelte freudlos. »Wurde von der Rolle gestrichen und verdroschen, ohne überhaupt einen Fuß an Bord gesetzt zu haben. Betrank sich, nachdem er angeheuert hatte, und beleidigte den Kapitän, bevor die Tätowierung trocken war.« Sie erinnerte sich daran, wie er die Anekdote zum Besten gegeben hatte.
»Gut, gut.« Umma Balsum nickte. »Zwei Mark für den Versuch. Fünf Mark Verbindungsgebühr, wenn ich ihn erreiche, dann zwei Heller die Minute, während wir verbunden sind. Und einen Nobel dafür, dass er im Spike sitzt. Akzeptiert?«
Derkhan nickte. Es war teuer, aber für Thaumaturgie dieses Grades genügte es nicht, ein paar Formeln auswendig zu lernen. Mit ausreichend Übung konnte sich zwar jeder das ein oder andere Kadabra aneignen, für eine solche psychische Kanalisierung hingegen brauchte es ein erhebliches angeborenes Talent und darauf aufbauend Jahre intensiven Lernens. Ungeachtet ihrer äußeren Erscheinung und ihrer Lebensumstände war Umma Balsum nicht weniger eine thaumaturgische Koryphäe als ein promovierter Remaker oder Schimäriker. Derkhan kramte nach ihrer Börse.
»Zahlen Sie später. Erst wollen wir sehen, ob wir zu ihm durchkommen.« Umma Balsum rollte den linken Ärmel hoch, schlaffes Fleisch wabbelte. »Malen Sie mir dieses Motiv auf. So originalgetreu wie möglich.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen Stuhl in der Ecke, auf dem eine Palette lag, neben etlichen Pinseln und farbigen Tinten.
Derkhan zog den Stuhl mit den Utensilien heran und zeichnete auf Umma Balsums Arm. Sie erinnerte sich nur mit Mühe an die exakten Farben und brauchte ungefähr 25 Minuten, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Ihr Anker war etwas greller als Benjamins und vielleicht etwas gedrungener, doch nach ihrer Überzeugung würde jeder, der das Original gesehen hatte, es hier wieder erkennen. Mit einem zaghaften Anflug von Genugtuung trat sie zurück.
Umma Balsum schwenkte ihren Arm wie den Flügel einer fetten Henne, um das Trocknen der Farbe zu beschleunigen. Sie sortierte die Artefakte aus Benjamins Schlafkammer.
»… verflucht unhygienische Art, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen …«, brummte sie, gerade so laut, dass Derkhan es hören konnte. Sie nahm Benjamins Rasiermesser zur Hand, hob es mit einer geübten Bewegung ans Kinn und ritzte sich die Haut. Sie drückte das blutfleckige Papier an den kleinen Schnitt. Dann hob sie den Rock und zog das Hosenbein so weit es ging über ihren fetten Schenkel.
Als Nächstes langte sie
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