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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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die Münze verborgen war. Kinder schrien, juchzten, greinten. Prostituierte verschiedener Rassen, Geschlechter und Geschmäcker flanierten hüftschwingend zwischen den Buden auf und ab, oder standen vor den Bierzelten und zwinkerten den Vorübergehenden zu.
    Die Salacus-Clique löste sich nach und nach auf, je weiter sie ins Herz des Jahrmarkts vordrangen. Man verweilte kurz, während Cornfed sein Talent als Bogenschütze zeigte und generös seine Gewinne – zwei Puppen – an Alexandrine und eine junge hübsche Kokotte verschenkte, die seinen Triumph beklatscht hatte. Die drei verschwanden Arm in Arm in der Menge. Tarrick stellte bei einem Angelspiel seine Geschicklichkeit unter Beweis, indem er drei lebendige Krebse aus einem großen, sprudelnden Wasserbottich fischte. Bellagin und Spint ließen sich die Karten legen und quiekten entsetzt, als die gelangweilte Hexe nacheinander Die Schlange und Das Alte Weib aufdeckte. Sie holten sich eine zweite Meinung von einer großäugigen Koleoptomantin. Die Frau starrte dramatisch auf die Muster, die über die Panzer ihrer Mosaikkäfer huschten, während diese über ihr mit Sägemehl bestreutes Tablett krabbelten.
    Die anderen setzten derweil ihren Weg fort. Hinter dem Glücksrad bogen sie um eine Ecke und standen vor einem provisorisch umfriedeten Bereich. Über dem Eingang zu dem Platz mit den in einer Doppelreihe angeordneten kleinen Zelten stand auf einem Schild in grob gemalten Lettern: ZIRKUS DES ABSONDERLICHEN.
    »Hm«, meinte Isaac gedehnt, »ich glaube, ich werde mir einmal ansehen, was man dort zu bieten hat …«
    »Reizt es dich, die Tiefen menschlichen Elends auszuloten?«, fragte ein junges Künstlermodell, dessen Name Isaac nicht einfiel. Abgesehen von Lin, ihm selbst und Derkhan, waren nur noch wenige der ursprünglichen Clique übrig geblieben. Ihre Mienen verrieten gelindes Erstaunen über Isaacs Entscheidung.
    »Zum Zweck der Recherche«, antwortete Isaac wichtig. »Einzig zum Zweck der Recherche. Habt ihr Lust, euch mir anzuschließen, Derkhan? Lin?«
    Die anderen verstanden den Hinweis und räumten winkend oder mit einer anzüglichen Bemerkung das Feld. Bevor sie außer Sicht waren, wandte Lin sich an Isaac:
    Kein Interesse. Teratologie ist mehr dein Fach. Treffen wir uns in zwei Stunden am Ausgang?
    Isaac nickte kurz und drückte ihr die Hand. Sie signalisierte Derkhan Auf Wiedersehen und beeilte sich, einen Klangkünstler einzuholen, der für Isaac namenlos geblieben war.
    Derkhan und Isaac schauten sich an.
    »… und dann waren’s nur noch zwei«, sang Derkhan, Zitat aus einem Kinderlied über einen Wurf Kätzchen, von denen eins nach dem anderen auf kuriose Weise zu Tode kam.
     
    Für den Zirkus des Absonderlichen musste Isaac ein zusätzliches Eintrittsgeld berappen. Obwohl recht gut besucht, herrschte erheblich weniger Gedränge als auf dem Hauptplatz, und man hatte ausgezeichnete Gelegenheit zu entlarvenden Verhaltensstudien. Je wohlhabender die Leute aussahen, desto befangener gebärdeten sie sich. Diese Monstrositätenschau brachte im kleinen Mann den Voyeur zum Vorschein und in den Angehörigen der Oberschicht den Heuchler.
    Es waren Vorbereitungen zu einer Führung im Gange, die dem geneigten Publikum jede einzelne Attraktion der Schau zu präsentieren versprach. Die erhobene Stimme des Cicerone riet dem Trupp Schaulustiger, dicht zusammenzubleiben und sich zu wappnen für Anblicke, die nicht für sterbliche Augen bestimmt waren.
    Isaac und Derkhan folgten der Herde in einigem Abstand. Er sah, dass Derkhan Stift und Block bereithielt.
    Der zylinderhuttragende Zeremonienmeister näherte sich dem ersten Zelt.
    »Meine Damen und Herren«, sagte er mit verschwörerisch gedämpfter Stimme, »in diesem Zelt haust die außergewöhnlichste, furchteinflößendste Kreatur, die je ein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Oder Vodyanoi oder Kaktus oder was immer«, fügte er in normalem Tonfall hinzu und verbeugte sich höflich vor den wenigen Xenianern in der Gruppe, bevor er seinen dramatischen Monolog fortsetzte. »Zum ersten Mal beschrieben vor fünfzehnhundert Jahren in den Reiseberichten von Libintos dem Weisen, einem Sohn des damals noch kleinen, bescheidenen Crobuzon. Auf seinen Reisen zu den sengenden Wüsten sah Libintos viele wundervolle und schreckliche Dinge, aber nichts war furchtbarer als die todbringende – Mafadet!«
    Isaac war mit einem sardonischen Lächeln seinem Vortrag gefolgt, aber bei diesem letzten Wort schnappte auch er nach

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