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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Luft, wie alle anderen.
    Sollten die hier wirklich eine echte Mafadet haben?, dachte er, während ihr Führer den Vorhang vor dem kleinen Pavillon zur Seite zog. Er drängte nach vorn, um besser sehen zu können.
    Ein vielstimmiges Ächzen, und die vor ihm Stehenden wichen zurück, andere schoben sich auf die frei gewordenen Plätze.
    Hinter dicken, schwarzen Gitterstäben, gefesselt mit schweren Ketten, lag auf dem Boden ausgestreckt eine außerordentliche Kreatur. Der mächtige, lohfarbene Körper war der eines riesigen Löwen, dessen Schultern ein gewaltiger Schlangenleib entspross, dicker als der Oberschenkel eines Mannes. Die Farbe der glänzenden Schuppen war ein öliges, rötliches Braun mit einem verschlungenen Muster, welches sich den biegsamen Hals hinaufzog und auf dem kolossalen, flachen Schlangenhaupt rautenförmig verbreiterte.
    Dieses Schlangenhaupt wandte sich den Schaulustigen zu. Eine gespaltene Zunge schnellte witternd vor und zurück, die lidlosen Augen glänzten wie Jett.
    Isaac griff nach Derkhans Arm.
    »Es ist tatsächlich eine gottverdammte Mafadet!«, flüsterte er hingerissen. Derkhan nickte mit großen Augen.
    Die Leute waren einige Schritte zurückgewichen. Der Schausteller nahm einen spitzen Stock und stach ihn der gefangenen Kreatur in die Flanke. Die Mafadet stieß ein tiefes, knurrendes Zischen aus und führte einen matten Prankenhieb nach ihrem Peiniger. Der Schlangenhals bog und bäumte sich in dumpfer Gereiztheit.
    Die Aktion entlockte einigen Zuschauern helle, wohlige Entsetzensschreie, man drängte gegen die kleine Barriere vor dem Käfig.
    »Zurück, meine Damen, meine Herren, ich bitte Sie!« Die Stimme des Anreißers triefte vor gespielter Besorgnis. »Sie spielen mit Ihrem Leben. Reizen Sie die Bestie nicht!«
    Mit erneutem Zischen schob sich die Mafadet rückwärts aus der Reichweite des schmerzhaften Spießes.
    Isaacs Ehrfurcht verflüchtigte sich rasch.
    Das entkräftete Tier suchte würdelos im Hintergrund des Käfigs Schutz. Der räudige Schweif peitschte den stinkenden Ziegenkadaver, den man ihm zur Atzung hingeworfen hatte. Das Fell der Mafadet war staubig und verfilzt, klebrig von den eigenen Ausscheidungen und Blut, das zäh aus zahlreichen großen und kleinen Wunden quoll. Ein Zucken lief über den lang gestreckten Körper, als das Schlangenhaupt sich auf dem muskelstarken Hals in die Höhe bäumte.
    Die Mafadet zischte, und als die Menge das Zischen erwiderte, öffnete sich drohend das zu einem kalten Grinsen geschlitzte Maul.
    Isaac verzog bestürzt das Gesicht.
    Statt unterarmlanger blitzender Fänge ragten gesplitterte Stümpfe aus dem Kiefer des Tiers – man hatte der Mafadet aus Angst vor ihrem tödlichen Biss die Giftzähne ausgebrochen.
    Er starrte auf das geschändete Geschöpf, dessen schwarze Zunge durch die Luft schnellte. Schließlich sank der keilförmige Schädel wieder zu Boden.
    »Bei Jabbers Hinterbacken«, sagte Isaac leise zu Derkhan. »Ich hätte nie gedacht, dass mir so ein Vieh einmal Leid tun könnte.«
    »Man fragt sich, in welchem Zustand der Garuda sein wird«, meinte Derkhan.
    Der Anreißer zog eilig den Vorhang wieder zu, dabei erzählte er seinem Publikum die Geschichte von dem Gottesurteil mittels Schlangengift, dem Libintos sich auf Geheiß des Königs der Mafadet hatte unterwerfen müssen.
    Ammenmärchen, Hörensagen, Lügen und Schmierenkomödie, dachte Isaac verachtungsvoll. Wohlweislich hatte man den Leuten nur einen kurzen Blick gewährt, kaum eine Minute. Damit keiner merkt, dass die erbarmungswürdige Kreatur dem Tod näher ist als dem Leben.
    Unwillkürlich stellte er sich die Mafadet auf der Höhe ihrer Kraft vor, wie sie majestätisch durch das trockene Buschwerk der Wüste schritt, das blitzartige Zustoßen des dreieckigen Schlangenhauptes. Über ihr am Himmel kreisend Garuda mit blitzenden Schwertern.
    Die Gruppe wurde zum nächsten Zelt gelotst. Isaac hörte nicht auf die Suada des Anreißers. Er sah, dass Derkhan sich Notizen machte.
    »Für Lauffeuer?«, erkundigte er sich halblaut.
    Derkhan schaute sich rasch nach allen Seiten um.
    »Möglich. Kommt drauf an, was wir noch zu sehen bekommen.«
    »Was wir zu sehen bekommen?« Isaac zog Derkhan mit, als er der nächsten Attraktion ansichtig wurde. »Nackte menschliche Sensationsgier! Es ist zum Verzweifeln!«
    Sie blieben hinter ein paar Leuten stehen, die ein Kind ohne Augen bestaunten, ein zierliches, mageres kleines Mädchen, das wortlose Klagelaute ausstieß und den

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