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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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regelmäßig seine diffuse, ziellose, ostentative soziale Unzufriedenheit zum Ausdruck. Er spreizt sich, dachte sie halb belustigt, halb verstimmt. Obwohl auf fremdem Terrain schwingt er große Reden, um die lakonische Journalistin zu beeindrucken.
    Sie beobachtete, wie Isaac verstohlen eine Münze über die Tischplatte schob und dafür einen neutralen Umschlag erhielt. Garantiert die neuste Ausgabe von Lauffeuer, der illegalen, radikalen Untergrundzeitung, für die Derkhan schrieb.
    Lin selbst war, abgesehen von einer vagen Abneigung gegen die Miliz und die Stadtregierung, politisch völlig uninteressiert. Sie lehnte sich zurück und schaute durch den violetten Schein der Ampel zum Sternenhimmel auf, dabei dachte sie an ihren letzten Besuch auf einem Jahrmarkt: das verwirrende Palimpsest der einander überlagernden Gerüche, das Johlen und Kreischen, die getürkten Wettspiele und wertlosen Preise, die exotischen Tiere und bunten Kostüme, alles zusammengeballt zu einem schmuddeligen, pralllebendigen, aufregenden Ganzen.
    Auf dem Jahrmarkt waren die normalen Regeln vorübergehend außer Kraft gesetzt; Bankier und Spitzbube gafften und staunten Seite an Seite, genossen den wohligen Schrecken und den Kitzel. Sogar Lins weniger konservative Schwestern besuchten den Jahrmarkt.
    In einer ihrer frühesten Erinnerungen schlich sie an Reihen farbenfroher Zelte entlang und stand vor einem furchteinflößenden, gefährlichen, kunterbunten Karussell, einem Riesenrad auf dem Rummel in Gallmerck vor zwanzig Jahren. Irgendjemand, der vorbeiging, sie wusste bis heute nicht wer – eine Khepri, ein weichherziger Kanditenkrämer – hatte ihr einen Zuckerapfel in die Hand gedrückt, den sie andächtig verspeiste. Er war eine ihrer wenigen angenehmen Kindheitserinnerungen, diese Frucht in ihrem klebrig-süßen Mantel. Sie wartete geduldig darauf, dass man das Zeichen zum Aufbruch gab.

 
KAPITEL 8
     
     
    »Hereinspaziert, hereinspaziert! Versuchen Sie Ihr Glück!«
    »Seien Sie galant, meine Herren – Blumen für die Dame Ihres Herzens!«
    »Eine Fahrt im Teufelsrad, und Sie hören die Engel singen!«
    »Ihr Konterfei in nur vier Minuten, vom schnellsten Portraitisten der Welt!«
    »Erleben Sie den hypnagogischen Mesmerismus von Sillion dem Außerordentlichen!«
    »Drei Runden, drei Guineen! Bestehen Sie drei Runden gegen den ›Eisenmann‹ und nehmen Sie drei Guineen mit nach Hause! Keine Kaktusleute!«
    Der Lärm war fast greifbar. Die Herausforderungen, die Jauchzer, die Einladungen und Lockungen und Anfeuerungsrufe brandeten gegen die lachende Gesellschaft wie platzende Ballons. Gas, vermischt mit speziellen Chymikalien, brannte rot und grün und blau und kanariengelb. Wiesen und Wege klebten von verschüttetem Zucker und Sirup. Ungeziefer flüchtete mit erlesenen Leckerbissen ins dunkle Buschwerk. Ganeffs und Taschendiebe schlängelten sich beutehungrig durch die Menge wie Fische durch Algenwälder, Wutgebrüll und geschüttelte Fäuste im Gefolge.
    Die Menge war ein wallender Eintopf aus Menschen und Vodyanoi, Kaktusleute, Khepri und anderen, selteneren Spezies: Hotchi und Strider und Stiltspear und solchen, deren Namen Isaac nicht kannte.
    Nur wenige Meter über die Peripherie des Jahrmarkttrubels hinaus lag der Park in tiefer nächtlicher Dunkelheit. Büsche und Zweige trugen bunte Girlanden aus Papierfetzen, weggeworfen, eingefangen und allmählich vom Wind zerfleddert. Spazierwege durchzogen das Gelände, führten zu Teichen und Blumenrabatten und Flächen wild wuchernden Grüns und zu der alten Klosterruine in der Mitte des großen Gemeindeangers.
    Lin und Cornfed, Isaac und Derkhan und die ganze übrige Schar schlenderten vorbei an gigantischen Gerüsten aus verbolztem Stahl, bunt lackiertem Eisen und zischenden Lichtern. Entzücktes Kreischen tönte aus kleinen Gondeln, die an filigran aussehenden Ketten über ihren Köpfen hin und her schwangen. Hundert verschiedene hysterisch heitere Melodien plärrten aus hundert Audiofonen und Drehorgeln, eine entnervende Kakophonie, die von allen Seiten heranflutete.
    Alex kaute Honignüsse, Bellagin Räucherfleisch, Thighs Growing ein wässriges Mark, das bei den Kaktusleuten als Delikatesse galt. Sie warfen sich gegenseitig Häppchen zu und versuchten, sie mit offenem Mund aufzufangen.
    Es herrschte Hochbetrieb. Die Jahrmarktsbesucher belustigten sich mit Ringewerfen, schossen mit Pfeil und Bogen in Spielzeuggröße auf Zielscheiben, versuchten zu erraten, unter welchem Becher

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