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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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menschlicher Motorik war absolut überzeugend. Stem-Fulcher war absichtlich in ein paar Schritten Abstand hinter ihnen hergegangen und hatte beobachtet, wie ihre lebendigen Augen von Spiegel zu Spiegel huschten, während sie, die Lippen konzentriert zusammengepresst, den Bereich vor sich sondierten.
    Es gab noch andere Typen, entdeckte sie. Weniger umfassend umgewandelt, ökonomischer. Man hatte ihnen das Gesicht auf den Rücken gedreht, sodass sie mit peinvoll verrenktem Hals nach hinten schauten. Auch sie orientierten sich mittels der Spiegel an ihren Helmen. Ihre Körper bewegten sich perfekt, ohne die geringste Unsicherheit, Waffen und Ausrüstung handhabten sie wie selbstverständlich. Ihre souveränen, flüssigen Bewegungen unter den herumgewürgten Köpfen wirkten sogar noch abstoßender als der rein funktionelle, kunstlose Gestus ihrer gründlicher neugestalteten Kameraden.
    Stem-Fulcher wurde gewahr, dass sie das Ergebnis von Monaten kontinuierlichen Trainings vor sich sah, ständigen Lebens in Spiegeln. In Anbetracht ihrer unnatürlich verdrehten Körper eine notwendige Strategie. Diese Truppen, überlegte sie, mussten speziell im Hinblick auf die Haltung von Gierfaltern entworfen und konstruiert worden sein. Sie war einigermaßen bestürzt über die Professionalität von Vielgestalts Operation und musste sich eingestehen, dass die Miliz bei diesem Unternehmen vermutlich etwas amateurhaft erscheinen würde.
    Ich glaube, wir haben gut daran getan, sie mit ins Boot zu nehmen, sagte sie sich.
     
    Je weiter die Sonne am Himmel hinaufwanderte, desto schwerer lastete die Hitze auf New Crobuzon. Das Licht war dick und gelb wie Maisöl.
    Aerostate schwammen durch diese solare Tunke, gondelten scheinbar ziellos, müßig über den Ebenen und Schluchten der Megalopole hin und her.
    Isaac und Derkhan standen auf dem Weg vor der Drahtumfriedung der Deponie, Derkhan trug einen Beutel, Isaac zwei. Sie fühlten sich unwohl im Hellen. Sie waren die Stadt bei Tag nicht mehr gewöhnt. Sie hatten vergessen, wie man sich unbefangen darin bewegte.
    So unauffällig wie möglich drückten sie sich durch die Straßen und ignorierten die wenigen Passanten.
    »Weshalb, Gottschiet, macht Yag sich ausgerechnet jetzt davon?«, knurrte Isaac.
    Derkhan zuckte die Schultern. »Er wirkte ganz plötzlich unruhig.« Sie überlegte, dann fuhr sie langsam fort: »Ich weiß, es ist ein schlechter Zeitpunkt, aber ich finde es irgendwie rührend. Meistens ist er – ist er da und doch nicht da, wenn du verstehst, was ich meine. Natürlich, wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, dann erlebt man den wirklichen Yagharek, aber die meiste Zeit ist er eine garudagestaltige Abwesenheit.« Sie berichtigte sich scharf. »Nein. Eben nicht garuda-, eher menschengestaltig. Das ist der springende Punkt. Aber jetzt – irgendwie scheint er an Substanz zu gewinnen. Man spürt, dass er das eine tun will und das andere nicht.«
    Isaac nickte. »Ich verstehe schon. Irgendeine Veränderung geht in ihm vor. Ich habe ihm gesagt, er soll bleiben, und er hat mich einfach ignoriert. Er wird eindeutig – sturer, falls man das eine positive Entwicklung nennen kann.«
    Derkhan schaute ihn forschend an. Sie ließ einen Moment verstreichen, dann meinte sie: »Bestimmt musst du ständig an Lin denken.«
    Isaac wandte den Kopf zur Seite, dann nickte er knapp. »Immer«, sagte er und sein Gesicht verfiel zu einem Ausdruck unaussprechlichen Grams. »Immer. Ich kann – ich habe keine Zeit zu trauern. Noch nicht.«
    Ein kleines Stück entfernt machte die Straße einen Bogen und teilte sich in mehrere schmale Fußwege. Aus einem davon ertönte plötzlich ein metallisches Klappern. Isaac und Derkhan fuhren zusammen und drückten sich rücklings gegen den Maschendrahtzaun.
    Ein Flüstern, und Lemuel lugte um die Ecke. Als er Isaac und Derkhan erspähte, grinste er triumphierend. Er machte mit beiden Händen eine schiebende Bewegung: Geht schon vor. Sie drehten sich um, suchten das Loch im Draht, überzeugten sich, dass sie nicht beobachtet wurden, und schlüpften hindurch.
    Zwischen den Abfallhügeln stapften sie bis zu einer Stelle, die von der Straße her nicht einzusehen war. Keine zwei Minuten später kam Lemuel hinterher.
    »Tagchen zusammen«, grüßte er selbstzufrieden.
    »Wie bist du hergekommen?«, erkundigte sich Isaac.
    Lemuel griente. »Kanalisation. Von wegen ungesehen bleiben. Mit den Typen, die ich mitgebracht habe, kann man’s wagen.« Sein Lächeln erlosch, als er

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