Perdido Street Station 02 - Der Weber
von seinem Ruhebett aus Schrott und Altmetall.
Ein niedriger Turm aus dicken Kabelschlingen wartete neben ihm. Das freie Ende war ausgefranst, der feste Mantel auf ungefähr einen Meter aufgeschnitten; die Litzen sträubten sich wie drahtige Rasierpinsel aus der Isolierung.
Ein Vodyanoi war zurückgeblieben. Derkhan sah ihn ein Stück abseits stehen und voller Unbehagen den Avatar beäugen. Sie winkte ihn heran. Er kam watschelnd auf sie zu, erst auf vier Beinen, dann aufrecht gehend, die platten Zehen mit den Schwimmhäuten dazwischen gespreizt, um auf dem unebenen Boden festen Halt zu haben. Sein einteiliger Anzug bestand aus dem leichten Wachstuch, das die Vodyanoi manchmal verwendeten: Es war wasserabweisend, saugte sich deshalb nicht voll und behinderte die Vodyanoi nicht beim Schwimmen.
»Alles bereit?«, fragte Derkhan. Der Vodyanoi nickte kurz.
Derkhan musterte ihn, aber sie wusste nicht viel über sein Volk. Nichts an ihm, soweit sie erkennen konnte, verriet ihr, was ihn bewogen haben mochte, sich dieser merkwürdigen, fordernden Sekte anzuschließen und eine künstliche Superintelligenz zu verehren, den Konstrukt Konzil. Für sie war offensichtlich, dass der Konzil seine Jünger behandelte wie Handlanger, dass er ihre Verehrung weder schätzte noch brauchte, nur ihre Nützlichkeit.
Sie konnte nicht begreifen, nicht einmal andeutungsweise, welche Hoffnung oder welchen Trost diese Ketzerkirche ihrer Gemeinde zu bieten hatte.
»Wir müssen das zum Fluss hinuntertragen«, sagte sie und hob ein Ende des dicken Kabels auf. Es war schwerer als gedacht, sie verlor das Gleichgewicht, und der Vodyanoi beeilte sich, ihr beizuspringen und sie zu stützen.
Der Avatar verhielt sich still. Er schaute Derkhan und dem Vodyanoi hinterher, die, das Kabel im Schlepptau, den Weg zu den ruhenden Kränen einschlugen, die im Nordwesten hinter den niedrigen Hügelketten aus Müll aufragten.
Das Kabel schien Tonnen zu wiegen, Derkhan musste immer wieder stehen bleiben und das Ende ablegen, um zu verschnaufen. Der Vodyanoi ging ohne ein Zeichen der Ungeduld neben ihr her, blieb mit ihr stehen und wartete, bis sie so weit war, das Kabel wieder aufzuheben und den Weg fortzusetzen. Hinter ihnen fiel Schlinge um Schlinge von dem ungeschlachten Kabelturm, der stetig schrumpfte, je weiter sie sich entfernten.
Derkhan bestimmte die Richtung, marschierte wie ein Prospektor durch die Müllschluchten und -klüfte zu einer bestimmten Stelle am Flussufer.
»Weißt du überhaupt, wozu wir das tun?«, fragte sie den Vodyanoi, ohne ihn anzusehen. Er warf ihr einen scheuen Blick zu, dann schaute er über die Schulter zurück zu der schmalen Silhouette des Avatars, immer noch sichtbar vor einem dioramisch wirkenden Hintergrund aus Schrotthügeln. Er schüttelte den wammigen Kopf.
»Nein. Ich hörte nur, dass der Gottmaschien für heute Abend unsere Arbeitskraft braucht. Erfuhr erst, was zu tun war, als ich herkam.« Er hörte sich vollkommen normal an. Sein Tonfall war nüchtern, keineswegs fanatisch. Er redete wie ein Arbeiter, der sich philosophisch über die Forderung der Firmenleitung beschwerte, unbezahlte Überstunden zu leisten.
Doch als Derkhan, schnaufend vor Anstrengung, noch weitere Fragen stellte – »Wie oft kommt ihr zusammen?«, »Was verlangt er sonst noch von euch?« – wurden seine Antworten rasch einsilbig, dann nickte er nur noch und schließlich sagte er gar nichts mehr.
Auch Derkhan schwieg wieder, ohnehin brauchte sie ihre ganze Kraft, um das schwere Kabel zu schleppen.
Die Müllhalden endeten in unregelmäßigen Klippen am Flussufer, das bei Griss Twist mit senkrechten Ziegelmauern befestigt war, die algengrün und schmierig aus dem schwarzen Wasser ragten. Führte der Tar Hochwasser, verhinderte vielleicht nur ein knapper Meter bröckligen Mauerwerks eine Überflutung. Zu anderen Zeiten lagen bis zu drei Meter zwischen dem oberen Rand der Uferbefestigung und dem kabbeligen Fluss.
Auf der Mauerkrone saß ein zwei Meter hoher Zaun aus starkem Maschendraht, Holzplanken und Betonpfosten, vor Jahren errichtet, um das damals noch jungfräuliche Deponiegelände zu begrenzen. Mittlerweile aber führte der Druck des gesammelten Zivilisationsabraums dazu, dass die nicht besonders stabile Konstruktion sich beunruhigend weit über das Wasser lehnte. Im Lauf der Jahrzehnte war der Maschendraht hie und da geborsten, die Lücken erbrachen Unrat in den unten strömenden Fluss. Die Schäden waren nicht repariert worden,
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