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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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angeschossen.
    »Hi«, meinte sie, als sie sich noch leicht kurzatmig auf den Stuhl neben ihn fallen ließ. Dann fiel ihr Blick auf den Cellokoffer. »Was ist denn das für ein Ungetüm?«
    »Mein Cello.«
    »So groß? Oder ist das nur der Koffer?«
    Wolfgang klopfte auf das schwarz glänzende Fiberglasgehäuse. »Das ist innen noch gepolstert und so weiter, aber so ein Cello ist schon ziemlich groß, ja.«
    »Und das schleppst du immer so mit dir herum?«
    »Nein, nur zum Unterricht.« Er zeigte auf die Straße schräg gegenüber, die am Bach entlanglief. »Mein Lehrer wohnt keine dreihundert Meter von hier.«
    Svenja musterte ihn. »Ich würde dich gern mal spielen hören.«
    »Dann besuch mich doch mal«, schlug Wolfgang spontan vor und erschrak fast vor seiner eigenen Kühnheit.
    Doch Svenja lachte bloß und meinte: »Das muss ich mir erst noch überlegen.«
    Die Kellnerin kam mit Wolfgangs Cola und dem Notizblock. Svenja bestellte einen Tropicana-Becher »mit extra viel Maracuja«, Wolfgang nahm wie eigentlich fast immer den Nussknacker-Becher. Während Svenja mit der Kellnerin über die Details ihres Getränks verhandelte – »ein Sprudel, ohne Zitronenscheibe, dafür mit einem Eiswürfel« – beobachtete Wolfgang sie, wie sie redete und wie sie dabei alles, was sie sagte, mit kleinen Bewegungen ihrer Hände unterstrich, und es kam ihm ganz und gar sensationell vor, hier mit ihr zu sitzen.
    Ihre Eisbecher kamen im Handumdrehen, doch da waren sie schon in eine angeregte Unterhaltung vertieft, die wie von selbst in Gang gekommen war, sodass Wolfgang nicht einmal mehr daran dachte, wie er sich Sorgen gemacht hatte, ihm würde nichts zu sagen einfallen. Svenja wollte alles über sein Cellospiel wissen, wann er damit angefangen hatte, wie oft er üben musste und so weiter, und wieso ausgerechnet Cello?
    »Das weiß ich auch nicht mehr so genau«, gestand Wolfgang. »Es hat sich so ergeben. Vielleicht, weil das Instrument ein altes Familienerbstück ist. Es hat schon in der Ecke gestanden, als ich ein Baby war.«
    »Du hast keine Geschwister, oder?«
    »Nein.«
    Svenja dagegen hatte, wie sich herausstellte, eine ganze Herde davon. »Wir sind so ein richtiger Clan«, meinte sie. »Man könnte problemlos eine Fernsehserie über uns drehen.« Ihr Vater, erzählte sie, hatte, nachdem eine kinderreiche erste Ehe gescheitert war, ein zweites Mal geheiratet, und zwar eine allein stehende Mutter dreier Kinder. Heute waren die Maitlands eine Großfamilie, bei der nur noch Eingeweihte durchblickten. Svenjas älteste Halbschwester Irena war schon achtundzwanzig, längst verheiratet und lebte in Berlin, ihr jüngster Bruder dagegen ging erst in den Kindergarten.
    »Ziemlich verwirrend«, meinte Wolfgang.
    »Nicht wahr?«, grinste Svenja. »Und dabei habe ich unsere fünf Katzen noch nicht erwähnt – vielleicht sind es auch sechs –, ganz zu schweigen von den beiden Hamstern und der Schildkröte. Die heißt übrigens Brocken.«
    »Brocken?«
    »Ja. Wenn sie daherkommt, sagen wir, ›da kommt der Brocken‹. Es ist nämlich eigentlich ein Schildkröterich.«
    Wolfgang nuckelte genüsslich an einer kandierten Haselnuss. »Scheint ja lustig zuzugehen bei euch.«
    »Sag ich doch.«
    Er empfand vagen Neid, vor allem, wenn er an sein eigenes Zuhause denken musste, das ihm in diesem Moment still und streng wie ein Schweigekloster erschien.
    Er kratzte in seinem Eisbecherglas. Das Eis ging zur Neige, und genauso die Zeit, die sie hier zusammen saßen. Es war merkwürdig, wie sehr es ihm vorkam, als kennten er und Svenja sich schon seit Ewigkeiten. »Meinst du, wir könnten das mal wiederholen?«, fragte er deshalb mutig, als es Zeit zum Aufbruch war. Die Zeche war bezahlt, und Svenja hatte sich sogar artig für die Einladung bedankt, was ihn ganz verlegen gemacht hatte.
    Sie zog eine Schnute. »Das macht dick auf Dauer, das viele Eis.«
    »Das ist aber nicht wirklich deine Sorge, oder?«
    »Sondern?«
    »Na ja«, meinte Wolfgang unsicher, »du gehst ja eigentlich mit Marco, oder?«
    Eine scharfe Falte erschien auf ihrer Stirn. »Halb. Halb auch nicht.« Sie schwang sich auf ihr Rad. »Lassen wir's einfach offen, okay?«
    Damit radelte sie davon. Die Sonne hoch über den Bergen im Westen strahlte herab, als sei nichts.
    #
     
    Als Wolfgang nach Hause kam, stand sein Vater im Flur, als habe er auf ihn gewartet. Er wirkte auf beunruhigende Weise aufgebracht. Als sei etwas Schlimmes passiert.
     
    Oder als habe Wolfgang etwas Schlimmes

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