Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
Verabschiedung.
    Wolfgang steckte das Foto hastig unter sein Hemd, schob die Schublade wieder zu, musste sich geradezu zwingen, nicht in Hektik zu verfallen. Leise, leise. Zurück zur Tür, hinaus auf den Flur, die Türe schließen, lautlos. Unten wurde das Telefon aufgelegt. Stille, eine Furcht erregende, alles aufsaugende Stille entstand. Wenn Mutterjetzt einfiel, die Treppe hochzukommen…
    Aber das fiel ihr nicht ein. Wolfgang atmete aus. Die Türklinke fühlte sich schweißnass an unter seiner Hand. Er ließ sie los und rieb sie mit seinem Ärmel trocken, so gut es ging. Immer noch Stille unten.
    Bis zur Toilettentür waren es zehn Schritte, aber Wolfgang kamen sie vor wie zehntausend. Endlich konnte er die Hand ausstrecken, die Tür aufstoßen und so tun, als käme er gerade…
    »Ich glaube, du hast zu spülen vergessen«, sagte seine Mutter unvermittelt, von unten zwar, aber so deutlich, als stünde sie neben ihm.
    Wolfgang erstarrte. Lauschte sie etwa? Er musste erst einmal schlucken, ehe er ein Wort herausbrachte.
    »Ach so, ja«, sagte er und hoffte, dass es überzeugend klang. Dann ging er hinein, betätigte die Spülung und zog, während es kräftig rauschte, die Tür von außen zu.
    Er spähte über die Brüstung in die Diele hinunter. Mutter lauschte nicht, sie stand am Dielenschränkchen neben dem Telefon, ganz versunken in die Betrachtung des Bildes, das dahinter an der Wand hing.
    »Es ist scheußlich, oder?«, murmelte sie.
    Wolfgang konnte ehrlichen Herzens nicht widersprechen. Von all den hässlichen Aquarellen, die Mutter gemalt hatte, war das in der Diele, das eine Art ätherische, missgebildete Lichtgestalt in unharmonischen gelben und violetten Farbtönen zeigte, das mit Abstand hässlichste. Also schwieg er.
    »Du kannst weitermachen«, sagte sie, ohne hochzusehen.
    »Wer war's denn?«, tat Wolfgang harmlos.
    »Nichts Wichtiges.«
    »Ach so.« Sie schien tatsächlich keinen Verdacht geschöpft zu haben. War ahnungslos. Jetzt nur noch Rückzug in sein Zimmer, das Foto aus seinem Hemd in ein Versteck verschwinden lassen. Und es nicht übertreiben, so tun, als sei er einfach gerade nur auf dem Klo gewesen, als sei überhaupt nichts…
    »Ach übrigens, Wolfgang…?«, erwischte ihn die Frage von unten, wie eine Harpune mit Widerhaken.
    Er spürte seine Handflächen feucht werden. »Ja?«
    »Spiel bitte endlich was anderes. Nicht dieses Anfängerzeug.«
    Täuschte er sich, oder hatte sein Herz gerade ein, zwei Extraschläge gemacht? Er glaubte seine Stimme zittern zu hören, als er erwiderte: »Okay.«
    Aber als er dann endlich saß und das Foto sicher in seinem Schreibtisch lag, gut versteckt unter der untersten Schublade, bebten seine Hände so, dass er erst einmal unfähig war, auch nur einen Ton zu spielen. Er saß einfach nur da, das Cello zwischen den Schenkeln, blätterte in seinen Noten und versuchte, sich zu beruhigen, bis schließlich das wohl bekannte »Wolfgang? Ich höre dich nicht üben!« seiner Mutter an sein Ohr drang und er weiterspielen musste, wollte er sich nichts anmerken lassen.
    #
     
    Es ließ ihm keine Ruhe. Nachts trieb es ihn wieder aus dem Bett und an den Schreibtisch, wo er das Foto herauszog und unter der Schreibtischlampe genauestens studierte. Das Dunkelbraune hinter ihm und dem Unbekannten war, wie er jetzt sah, eine Art Holztäfelung. Was schon einmal sehr mysteriös war, denn er konnte sich nicht erinnern, jemals woanders Cello gespielt zu haben als in seinem Zimmer, bei Herrn Jegelin oder unten im Wohnzimmer. Wo war dieses Bild aufgenommen worden? Und wer war der Mann neben ihm?
     
    Er mochte Mitte fünfzig sein, hatte ein breites, grobknochiges Gesicht mit fleckiger Haut und dunkle, wässrig wirkende Augen. Er lächelte stolz. Die Geste mit der Hand auf Wolfgangs Schulter sah aus, als habe dieser gerade eine Prüfung mit Bravour bestanden. Nur, dass er sich an nichts dergleichen erinnern konnte.
    Das war alles mehr als merkwürdig. Das war fast schon unheimlich.
    Und was war an diesem Foto, das Mutter bewogen hatte, es in der Nachttischschublade aufzubewahren? Das Fotografieren wurde wenig gepflegt im Hause Wedeberg. Wozu auch, es gab so gut wie nichts, was man unbedingt hätte fotografisch festhalten müssen. Da Vaters Beruf Urlaubsreisen so gut wie unmöglich machte, hatte es weder Strandszenen noch Sehenswürdigkeiten zu fotografieren gegeben. Große Feste im Kreis der Verwandtschaft fanden nicht statt, in Ermangelung einer solchen. Keine Onkel, keine

Weitere Kostenlose Bücher