Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Freund später mit denen einer Fliege verglich, schienen sich in seine Gesprächspartner zu bohren. In Briefen an seine Freunde zerlegte er ihre Gefühle und Probleme mit entnervender Akribie, aber er tat dasselbe auch mit seinen eigenen Schwächen. Er war zwar gern allein, aber auch umgänglich und ein Charmeur. Er konnte gut schmeicheln. Niemand wurde so recht schlau aus ihm oder konnte sich vorstellen, wie die Zukunft dieses komischen Kauzes aussehen würde.
Im Jahr 1888 lernte Marcel die 37-jährige Kurtisane Laure Hayman kennen, die Geliebte seines Onkels, und verliebte sich sofort in sie. Sie war wie eine Figur aus einem Roman. Ihre Kleidung, ihre Koketterie, ihre Wirkung auf Männer faszinierten ihn. Sie war angetan von seinem Witz und seiner Höflichkeit, und sie wurden schnell enge Freunde. Salons hatten in Frankreich eine lange Tradition. Sie waren Treffpunkt für Menschen mit ähnlichen Ansichten, um über Literatur und Philosophie zu diskutieren. Meistens luden Frauen zu diesen Salons ein. Je nach sozialem Status der Gastgeberin trafen sich dort wichtige Künstler, Denker und Persönlichkeiten der Politik. Laure hatte einen eigenen, berüchtigten Salon, in dem sich Künstler, Bohemiens, Schauspieler und Schauspielerinnen trafen. Marcel war bald ein regelmäßiger Besucher.
Das Sozialleben der französischen Oberschicht faszinierte ihn. Es war eine Welt voller subtiler Zeichen – eine Einladung zum Ball oder die Sitzordnung an der Festtafel waren Zeichen für den sozialen Status einer Person, ob sie im Aufstieg oder im Niedergang begriffen war. Kleidung und Gesten sowie gewisse Gesprächsformeln waren ausschlaggebend für endlose Kritiken und ein Urteil über eine Person. Marcel richtete seine Aufmerksamkeit, die er bisher auf Geschichte und Literatur konzentriert hatte, nun auf die Welt der besseren Gesellschaft. Er schmeichelte sich in weitere Salons und kam bald mit Mitgliedern des Hochadels in Kontakt.
Marcel war zwar entschlossen, Schriftsteller zu werden, hatte aber nicht die geringste Ahnung gehabt, worüber er schreiben sollte. Das ärgerte ihn über alle Maßen. Doch nun hatte er die Antwort: Die Welt der gehobenen Gesellschaft war seine Ameisenkolonie. und er würde sie wie ein Insektenkundler schonungslos analysieren. Er begann, Charaktere für seinen Roman zu sammeln. Graf Robert de Montesquiou war ein solcher Charakter. Er war Dichter, Ästhet, berüchtigt für seine dekadente Lebensweise und hatte eine ausgesprochene Schwäche für attraktive junge Männer. Charles Haas war ein weiterer Kandidat, der Inbegriff der modischen Eleganz und ein Kunstkenner und -sammler, der sich immer wieder in Frauen aus niederen Gesellschaftsschichten verliebte. Marcel studierte diese Menschen, hörte ihnen genau zu, verfolgte ihre Eigenheiten und erweckte sie in kleinen Skizzen in seinem Notizbuch zum Leben. Auf dem Papier war Marcel ein meisterhafter Imitator.
Er schrieb nur über das, was er selbst erlebt oder aus erster Hand erfahren hatte; alles andere wäre ihm leblos erschienen. Er hatte jedoch Angst vor engen persönlichen Beziehungen, und das stellte ihn vor ein Problem. Er fühlte sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen, wagte aber nie eine enge physische oder emotionale Beziehung. Folglich konnte er auch nicht über eigene Erfahrungen mit Romantik oder Liebe schreiben. Doch er fand eine Lösung, die ihm passend erschien. Wenn eine bestimmte Frau ihn interessierte, freundete er sich mit ihrem Verlobten oder Liebhaber an, und nachdem er sein Vertrauen gewonnen hatte, fragte er ihn über die intimsten Details seiner Beziehung aus. Er war ein scharfsinniger Psychologe und gab exzellente Ratschläge. Später vollzog er in Gedanken die ganze Affäre nach und fühlte so intensiv wie möglich die Höhen und Tiefen, die Eifersuchtsanfälle, als passiere das alles ihm selbst. Er wandte diese Methode bei beiden Geschlechtern an.
Marcels Vater, ein bekannter Arzt, verzweifelte an seinem Sohn. Marcel feierte ganze Nächte durch, kam erst am späten Vormittag nach Hause und schlief den ganzen Tag. Um mit der guten Gesellschaft mithalten zu können, gab er riesige Geldsummen aus. Er schien keinerlei Disziplin zu kennen und keine echten Karrierepläne zu haben. Er hatte immer noch gesundheitliche Probleme, seine Mutter verwöhnte ihn ständig, und sein Vater fürchtete, sein Sohn werde ein Versager und seinen Eltern ewig zur Last fallen. Der Vater drängte Marcel, einen Beruf zu ergreifen. Marcel
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