Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
des Buches Eine Liebe von Swann vollendet. Es wurde 1913 veröffentlicht und bekam außergewöhnlich gute Kritiken. Einen solchen Roman hatte noch niemand zuvor gelesen. Proust hatte sein eigenes Genre geschaffen, das sowohl Roman als auch Essay war. Noch während er die zweite und letzte Hälfte des Buches plante, brach in Europa der Erste Weltkrieg aus und das Verlagsgeschäft kam praktisch zum Stillstand. Proust arbeitete weiter an seinem Roman, aber dabei geschah etwas Eigenartiges: Das Buch wurde immer länger und umfangreicher, ein Band nach dem anderen entstand. Zum Teil lag das an seiner Arbeitsweise. Mit den Jahren hatte er Tausende kleiner Geschichten, Figuren, Lebenserfahrungen und psychologische Gesetze angesammelt. Diese fügte er nun langsam zu dem Roman zusammen wie die Einzelteile eines Mosaiks. Ein Ende war nicht abzusehen.
Während das Buch wuchs, veränderte es sich – die Grenzen zwischen echtem Leben und Roman verschwammen. Wenn Marcel eine neue Figur brauchte, eine wohlhabende Debütantin etwa, dann suchte er nach einer entsprechenden Person in der Gesellschaft und ließ sich dann zu Bällen und Soireen einladen, um sie dort zu studieren. Redewendungen, die sie benutzte, fanden sich später im Buch wieder. Eines Abends reservierte er mehrere Theaterlogen für seine Freunde. Dort versammelte er die Menschen, auf denen die Figuren in seinem Buch basierten. Später aßen sie gemeinsam zu Abend, und am Esstisch konnte er, wie ein Chemiker, alle Elemente seines Buches mit eigenen Augen beobachten. Natürlich wussten seine Gäste nicht, was vor sich ging. Alles wurde für Marcel zu Material, nicht nur die Vergangenheit, sondern auch aktuelle Ereignisse und Zusammentreffen zeigten ihm eine neue Möglichkeit oder Richtung auf.
Wenn er die Pflanzen und Blumen beschreiben wollte, die ihn als Kind fasziniert hatten, fuhr er aufs Land hinaus und betrachtete sie stundenlang. Er wollte herausfinden, was sie so einzigartig machte und warum sie ihn so fasziniert hatten, damit er diese ursprünglichen Gefühle für seinen Leser nachvollziehbar machen konnte. Um den Grafen de Montesquiou zu der Romanfigur Charlus, einem stadtbekannten Homosexuellen, machen zu können, besuchte Marcel die geheimen Männerbordelle von Paris, in denen der Graf häufig verkehrte. Sein Buch sollte so realistisch wie möglich sein, und das schloss detaillierte Sex-Szenen mit ein. Für alles, was er nicht selbst beobachten konnte, bezahlte er andere, die Gerüchte und Informationen für ihn sammelten und sogar spionierten. Je mehr das Buch an Länge und Tiefe gewann, umso mehr hatte Marcel das Gefühl, als erwache die gesellschaftliche Welt, über die er schrieb, in seinem Inneren zum Leben, und umso leichter floss sie aus ihm heraus. Er beschrieb dieses Gefühl mit einer Metapher, die er auch im Roman verwendete: Er war wie eine Spinne in ihrem Netz, die jede kleinste Erschütterung spürt und ihr Netz so gut kennt, wie Marcel die Welt kannte, die er meisterhaft erschaffen hatte.
Nach dem Krieg wurden die weiteren Bände von Prousts Buch veröffentlicht, einer nach dem anderen. Die Kritiker waren beeindruckt von der Tiefe und Breite seiner Arbeit. Er hatte eine ganze Welt erschaffen, oder besser nachgebildet. Aber dies war nicht nur ein realistischer Roman, denn das Buch enthielt auch zahlreiche Abhandlungen über Kunst, Psychologie, die Geheimnisse der Erinnerung und die Funktionsweise des Gehirns. Proust war tief in seine eigene Psyche vorgedrungen und hatte dabei verblüffend akkurate Entdeckungen über das Gedächtnis und das Unterbewusstsein gemacht. Beim Lesen der einzelnen Bände bekam der Leser das Gefühl, als lebte er tatsächlich selbst in dieser Welt. Die Gedanken des Erzählers wurden zu den eigenen Gedanken – die Grenze zwischen Erzähler und Leser verschwamm. Es war ein magischer Effekt, und er fühlte sich an wie das Leben selbst.
Prousts Zeit wurde knapp. Er arbeitete mit aller Kraft auf das Ende des letzten Bandes hin, den Punkt, an dem der Erzähler endlich den Roman schreiben konnte, den der Leser gerade gelesen hatte. Aber Marcel fühlte, dass seine Kraft nachließ und sein Leben sich dem Ende näherte. Immer wieder ließ er die Druckerpressen anhalten, um einen neuen Zwischenfall, den er persönlich erlebt hatte, noch ins Buch einzufügen. Er spürte, dass er dem Tode nahe war, und diktierte einer Bediensteten noch letzte Notizen. Er hatte endlich verstanden, wie es sich anfühlte, zu sterben, und musste
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