Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
fand es seltsam und beunruhigend, dass ein relativ kleiner Raum durch seine Aufteilung oder die Anordnung der Fenster viel größer, ja geradezu riesig wirken konnte. Kinder sind generell von Größenverhältnissen fasziniert. Sie spielen mit Miniaturversionen der Erwachsenenwelt, die für sie echte, sehr viel größere Objekte sind. Mit zunehmendem Alter verliert sich dieses Interesse, aber in Fernández’ Kunstwerk Eruption (2005) macht sie uns wieder die manchmal verstörenden Emotionen bewusst, die ein Spiel mit Maßstäben hervorrufen kann. Es handelt sich bei dem Kunstwerk um eine relativ kleine Bodenskulptur in der Form eines Kleckses, der an eine Künstlerpalette erinnert, und besteht aus Tausenden farblosen Glasperlen, die in Schichten auf eine Oberfläche aufgetragen wurden. Unter den Perlen befindet sich das vergrößerte Bild eines abstrakten Gemäldes, sodass die Perlen unterschiedliche Farben reflektieren und das Kunstwerk aussieht wie der rotglühende Schlot eines Vulkans. Das darunterliegende Bild ist nicht zu sehen, und der Betrachter weiß nicht, dass die Glasperlen farblos sind. Unsere Augen werden einfach von dieser Erscheinung angezogen, und wir sehen mehr darin, als tatsächlich da ist. Sie hat auf kleinstem Raum den Eindruck einer tiefen und weitläufigen Landschaft erzeugt. Wir wissen, dass es eine Illusion ist, aber dennoch löst das Kunstwerk Emotionen und Spannung in uns aus.
Bei der Erschaffung von Kunstwerken für den öffentlichen Außenraum wählen Künstler meist einen von zwei Wegen: Sie erschaffen etwas, das sich auf interessante Art in die Landschaft einfügt, oder sie kreieren etwas, das von der Umgebung absticht und die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Mit ihrem Werk Seattle Cloud Cover (2006) – im Olympic Sculpture Park in Seattle, Washington – bewegte sich Fernández in einer Grauzone zwischen diesen beiden gegensätzlichen Ansätzen. Sie stellte entlang einer Fußgängerbrücke über Bahngleise große farbige Glaswände auf, die mit Fotografien von Wolken überzogen waren. Die Glasflächen überdachen den Fußweg auch teilweise. Sie sind halbdurchsichtig, und durch gleichmäßig verteilte völlig durchsichtige Punkte kann man den echten Himmel sehen. Wer über diese Brücke geht, sieht über sich die realistischen Fotoaufnahmen der Wolken, die sich oft gegen den meist grauen Himmel über Seattle absetzen, von der Sonne beleuchtet werden oder sich bei Sonnenuntergang in ein Kaleidoskop verwandeln. Die Wirklichkeit und das Unwirkliche wechseln sich ab, wenn man über die Brücke geht, und man kann kaum das eine vom anderen unterscheiden – ein surrealer Effekt, der die Betrachter verwirrt.
In Stacked Waters (2009) im Blanton Museum of Art in Austin, Texas, kommt Fernández’ Alchemie wohl am stärksten zum Ausdruck. Dieser Auftrag stellte sie vor die Herausforderung, ein markantes Kunstwerk für die riesige, mehrstöckige Eingangshalle des Museums zu erschaffen. Das Atrium ist normalerweise durch große Oberlichter in helles Sonnenlicht getaucht. Anstatt nach einer Skulptur für den großen Raum zu suchen, stellte Fernández das Kunsterlebnis der Besucher insgesamt auf den Kopf. Menschen betreten Museen oder Galerien meist mit einer gewissen Distanziertheit und Kühle. Sie bleiben einen Moment stehen, um etwas zu betrachten, und gehen dann weiter. Fernández suchte nach einem intuitiven Kontakt zum Betrachter, anders als er bei einer traditionellen Skulptur zustande kommt. Daher nutzte sie die kalten, weißen Wände der Eingangshalle und den ständigen Besucherstrom als Grundlage für ihr alchemistisches Experiment.
Sie beklebte die Wände mit Tausenden Streifen hoch reflektierender Acrylfolie voller Farbstrudel in allen Schattierungen zwischen blau und weiß. Wenn man nun in der Eingangshalle steht, hat man das Gefühl, in einem riesigen Pool aus blauem Wasser zu stehen, das im von oben einfallenden Sonnenlicht schimmert. Wer die Treppen herunterkommt, sieht das eigene, leicht verzerrte Spiegelbild, als sehe er es durch Wasser. Bei genauem Hinsehen erkennt man die Acrylstreifen und die Illusion, die mit minimalem Materialeinsatz entsteht, aber das seltsame Gefühl, man sei in Wasser getaucht, bleibt. Die Betrachter werden auf diese Weise Teil des eigentlichen Kunstwerks, ihre Spiegelbilder helfen beim Erzeugen der Illusion. Der Gang durch diese Traumlandschaft erinnert uns an die Spannung zwischen Kunst und Natur, Illusion und Wirklichkeit, Kälte und Wärme, Nässe und
Weitere Kostenlose Bücher