Perfekt
Versuchung, sich seinen Gedanken hinzugeben. Er hob ein Glas Brandy an die Lippen, beobachtete, wie ein Holzscheit funkensprühend herabfiel und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er jemanden wie sie getroffen hätte, als er noch jung war. Hätte sie ihn vor sich selbst retten können, hätte sie ihm lehren können, wie man verzeiht, hätte sie sein Herz erwärmen und die Leere in seinem Leben füllen können? Wäre sie in der Lage gewesen, ihm Ziele aufzuzeigen, die höher und erstrebenswerter waren als Macht und Reichtum und Anerkennung - jene Werte, die sein Leben bestimmt hatten? Hätte er mit jemandem wie Julie im Bett etwas Besseres, Intensiveres, Tieferes, Dauerhafteres finden können als das geistlose Vergnügen eines Orgasmus?
Verspätet wurde ihm die Unmöglichkeit seiner Überlegungen bewußt, und er wunderte sich über seine eigene Torheit. Wo zum Teufel hätte er jemanden wie Julie Mathison kennenlernen sollen? Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr war er von Bediensteten und Verwandten umgeben gewesen, deren Anwesenheit alleine schon ausreichte, ihn unentwegt an seine gesellschaftliche Überlegenheit zu erinnern. Damals wäre die Tochter eines Kleinstadtpfarrers niemals in sein Gesichtsfeld geraten.
Nein, damals hätte er sie nicht getroffen, und ganz bestimmt wäre ihm auch in Hollywood niemand wie sie über den Weg gelaufen. Doch was, wenn er aus irgendeiner Laune des Schicksals heraus Julie dort begegnet wäre? Zack überlegte und runzelte angestrengt die Stirn. Wenn sie diesen Sumpf aus gesellschaftlicher Verderbtheit, unverhüllten Selbstgefälligkeiten und rücksichtslosem Ehrgeiz tatsächlich unbeschadet überstanden hätte - hätte er sie dann wirklich bemerkt, oder wäre sie nicht vielmehr von glamouröseren, auffälligeren Frauen in den Schatten gestellt worden? Wenn sie in sein Büro am Beverly Hills Drive gekommen wäre, um ihn um Probeaufnahmen zu bitten, hätte er dann ihr zauberhaftes, liebliches, feingeschnittenes Gesicht bemerkt, ihre unglaublichen Augen, ihren geschmeidigen Körper? Oder hätte er all das übersehen, weil sie nicht aufsehenerregend schön und wie ein Busenwunder gebaut war? Wenn sie in seinem Büro eine Stunde lang mit ihm gesprochen hätte wie eben jetzt, hätte er dann ihre Intelligenz, ihren sprühenden Witz, ihre natürliche Offenheit wirklich zu schätzen gewußt? Oder hätte er sie nicht möglichst rasch hinauskomplimentiert, weil sie nicht »business« redete oder eindeutige Anspielungen machte, daß sie mit ihm ins Bett gehen wolle -was damals seine beiden Hauptinteressen waren.
Zack drehte das Glas zwischen den Händen, während er die Antworten auf seine rhetorischen Fragen überlegte und dabei versuchte, sich selbst gegenüber brutal ehrlich zu sein. Nach gründlichem Nachdenken kam er zu dem Schluß, daß er Julie Mathisons feingeschnittenes Gesicht, ihre leuchtend frische Haut und die umwerfenden Augen sehr wohl bemerkt hätte. Schließlich war er ein Experte in Sachen Schönheit, konventioneller oder anderer Art, deshalb würde er ihre nicht übersehen haben. Und, ja, er hätte auch ihre Offenheit zu schätzen gewußt und wäre von ihrer Herzlichkeit und ihrem Liebreiz ebenso berührt gewesen, wie es heute abend der Fall war. Doch er hätte sie keine Probeaufnahmen machen lassen.
Und genausowenig hätte er sie einem guten Fotografen empfohlen, der, dessen war Zack sich absolut sicher, diese ihr eigene Frische eingefangen und sie in ein Millionen-Dollar-Cover-Girl verwandelt hätte - obwohl sie eigentlich schon zu alt war, um eine Karriere als Fotomodell zu beginnen.
Statt dessen, das glaubte Zack ehrlich, hätte er sie möglichst rasch aus seinem Büro hinausbegleitet und ihr den Rat gegeben, wieder nach Hause zu fahren, ihren Fast-Verlobten zu heiraten, Kinder zu bekommen und ein sinnvolles Leben zu führen. Denn nicht einmal in seinen herzlosesten Momenten hätte Zack tatenlos zusehen mögen, wie etwas derart Zartes und Unverdorbenes wie Julie Mathison benutzt und korrumpiert wurde, weder von Hollywood noch von ihm.
Doch was, wenn sie seinen Rat ignoriert und darauf bestanden hätte, in Hollywood zu bleiben? Wäre er dann später, wenn sie willens dazu war, mit ihr ins Bett gegangen?
Nein.
Hätte er es gewollt?
Nein!
Hätte er sich wenigstens ihre Gesellschaft gewünscht, hätte er sie vielleicht ab und zu zum Lunch oder zum Dinner treffen, sie zu Partys einladen wollen?
Verdammt noch mal, nein!
Warum nicht?
Zack kannte die Antwort
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