Perfekt
darauf ganz genau, doch er sah trotzdem noch einmal zu ihr hinüber, um sein Gefühl bestätigt zu bekommen: Sie saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa; in ihrem glänzenden Haar spielte das Licht der Flammen, da sie gerade zu einem wunderschönen Landschaftsgemälde über dem Kamin hinaufblickte - und ihr Profil war so ernst und unschuldig wie das eines frommen kleinen Mädchens während der Christmette. Und genau das war der Grund, warum er sie damals nicht in seiner Umgebung hätte haben wollen und warum er sie eigentlich auch jetzt lieber nicht hier gehabt hätte.
Obwohl er nur neun Jahre älter war als sie, hatte er ihr Jahrhunderte an Erfahrung voraus, und die meisten dieser Erfahrungen waren nicht von der Sorte, die sie bewundern oder auch nur gutheißen würde - und das galt schon für die Zeit, bevor er ins Gefängnis kam. Neben ihrem jugendlichen Idealismus kam Zack sich schrecklich alt und auch sehr verlebt vor.
Die Tatsache, daß er sie gerade jetzt und trotz des unförmigen Pullovers unglaublich anziehend und begehrenswert fand, und die Tatsache, daß er in eben diesem Moment eine Erektion hatte, führte dazu, daß er sich wie ein schmutziger, alter, widerlicher Lüstling vorkam.
Andererseits hatte sie ihn heute abend auch zum Lachen gebracht, und dafür war er ihr verdammt dankbar. Er nahm einen Schluck Brandy, lehnte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und rollte lächelnd das leere Glas zwischen den Händen. Ob er je wieder ein Football-Spiel ansehen würde, ohne dabei an ihren lachenden Protest denken zu müssen, warum es einen Fullback, einen Halfback und einen Quarterback gebe, aber keinen »Three-Quarterback«? Und würde er jemals wieder den Ausdruck »Tight end« hören können, ohne dabei zu lächeln, weil Julie Mathison ganz ernsthaft der Ansicht war, die Logik erfordere auch ein »Loose end«?
Plötzlich fiel ihm auf, daß sie nicht eine einzige Frage zu seinem früheren Leben im Filmgeschäft gestellt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau getroffen zu haben, die ihm nicht eilfertigst - auch wenn es gelogen war -versichert hätte, er sei ihr absoluter Lieblingsschauspieler, und ihn dann mit Fragen zu seinem Privatleben und dem anderer Filmstars, die sie besonders bewunderte, überschüttet hätte. Selbst einige der härtesten, der blutrünstigsten Mithäftlinge im Gefängnis waren von seinem früheren Leben fasziniert gewesen und hatten keine Zeit verloren, ihm zu erzählen, welches ihre Lieblingsfilme wären. Normalerweise hatte ihn diese kriecherische Neugierde immer gelangweilt und abgestoßen. Doch jetzt irritierte es ihn, daß Julie Mathison so tat, als habe sie noch nie von ihm gehört. Vielleicht gab es in diesem kleinen Nest, aus dem sie stammte, kein Kino? Vielleicht hatte sie in ihrem ganzen behüteten Leben noch keinen einzigen Kinofilm gesehen? Seine eigenen Filme waren fast ausnahmslos erst ab achtzehn freigegeben -wegen Gewalt, Sex oder Gotteslästerung oder aller drei. Verärgert und verwundert stellte Zack plötzlich fest, daß er sich dafür schämte - ein weiterer guter Grund dafür, daß er niemals freiwillig die Gesellschaft einer Frau wie Julie gesucht hätte.
Er war so in Gedanken versunken, daß er regelrecht zusammenzuckte, als sie mit einem zögernden Lächeln sagte: »Sie sehen nicht so aus, als ob Sie den Abend sehr genießen.«
»Ich habe daran gedacht, die Nachrichten anzuschalten«, sagte er geistesabwesend.
Julie, die sein gedankenverlorenes Schweigen mit wachsender Unruhe wahrgenommen hatte, ergriff die Gelegenheit, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als der Frage, ob er wirklich unschuldig war ... und ob er versuchen würde, sie nochmals zu küssen, bevor der Abend endete. »Ausgezeichnete Idee«, sagte sie, stand auf und griff nach ihrem Teller. »Warum suchen Sie nicht den richtigen Sender im Fernsehen, und ich räume inzwischen den Tisch ab?«
»Damit Sie mir dann vorwerfen können, ich halte mich nicht an unsere Abmachung? O nein. Ich räume das Geschirr weg.«
Julie sah ihm zu, wie er Teller und Besteck nahm und in die Küche brachte.
Den Teil der letzten Stunde, den sie nicht damit zugebracht hatte, seine Fragen zu beantworten, hatten sie immer wieder Zweifel an seiner Schuld geplagt. Sie erinnerte sich an die Wut, mit der er von den Geschworenen sprach, die ihn ins Gefängnis geschickt hatten. Sie erinnerte sich an die schreckliche Verzweiflung in seiner Stimme, als er sie im Schnee angefleht hatte, ihn
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