Perfekt
seltsame Aura von Unschuld, die sie umgab, und er bemerkte wieder, daß Julie aus irgendeinem Grund den direkten Blickkontakt mied. Die letzten drei Tage hatte sie ihm getrotzt, ihn bekämpft und herausgefordert; heute hatte sie ihn ausgetrickst und ihm das Leben gerettet. Und doch, all ihrer Unerschrockenheit, ihrem Mut und ihrer Tapferkeit zum Trotz, war sie jetzt, da die Feindseligkeiten zwischen ihnen beigelegt waren, verblüffend schüchtern. »Ich hole den Wein«, sagte er, und bevor sie widersprechen konnte, war er aufgestanden und kehrte mit einer Flasche und zwei geschliffenen Weingläsern zurück.
»Ich habe ihn nicht vergiftet«, ließ er einige Minuten später verlauten, als er sah, wie sie erst automatisch nach dem Glas griff, dann aber ihre Hand erschrocken wegzog.
»Das hatte ich auch nicht angenommen«, sagte sie mit einem unsicheren Lachen. Sie hob das Glas und trank einen kleinen Schluck, und Zack bemerkte, daß ihre Hand zitterte. Er kam zu dem Schluß, daß sie Angst davor hatte, mit ihm ins Bett zu gehen. Sie wußte, daß er seit fünf Jahren keine Frau gehabt hatte. Vermutlich fürchtete sie, daß er sich sofort nach dem Essen auf sie stürzen oder aber zumindest gleich nachdem sie angefangen hatten, sich zu lieben, die Kontrolle über sich verlieren und in zwei Minuten fertig sein würde. Allerdings war Zack nicht ganz klar, warum sie sich darüber Sorgen machte; wenn jemand Grund hatte, seine Fähigkeit anzuzweifeln, nach fünf abstinenten Jahren alles richtig zu machen, dann war er es.
Ja, er fühlte sich unsicher.
Nun, zunächst würde er versuchen, sie durch eine nette, unverfängliche Unterhaltung zu beruhigen. Im Geiste ging er alle Themen durch, die ihn augenblicklich am meisten beschäftigten - und nahm widerwillig davon Abstand, über ihren wunderschönen Körper, ihre fantastischen Augen und - das fiel ihm am schwersten - über ihr geflüstertes Bekenntnis unten am Fluß zu sprechen, daß sie mit ihm schlafen wolle. Letzteres erinnerte ihn wiederum an die anderen Dinge, die sie heute nachmittag im Schlafzimmer zu ihm gesagt hatte, als er nicht fähig gewesen war, seine Lethargie abzuschütteln und darauf zu reagieren. Jetzt war er sich fast völlig sicher, daß er das meiste davon gar nicht hatte hören sollen. Aber vielleicht hatte er sich einen Teil auch nur eingebildet? Er wünschte, sie würde wieder über ihre Schüler sprechen; er hatte es so gern, wenn sie ihre Geschichten erzählte. Gerade wollte er sie dazu bewegen, als er merkte, daß sie ihn fragend anblickte. »Was ist?« fragte er.
»Ich habe gerade darüber nachgedacht«, sagte sie, »ob ich damals - bei dem Restaurant - tatsächlich einen Platten hatte.«
Zack bemühte sich, ein schuldbewußtes Lächeln zu unterdrücken. »Du hast ihn doch mit deinen eigenen Augen gesehen.«
»Willst du damit sagen, daß ich über einen Nagel oder etwas Ähnliches gefahren bin und nicht gemerkt habe, daß ein Reifen defekt ist?«
»So würde ich es nicht ausdrücken.« Er war sich jetzt fast sicher, daß sie ihn in Verdacht hatte, doch ihr Gesicht verriet keinerlei Regung, so daß er nicht wußte, ob sie Katz und Maus mit ihm spielte oder nicht.
»Wie würdest du es dann ausdrücken?«
»Ich würde sagen, daß die Seite deines Reifens mit einem scharfen, spitzen Gegenstand in Berührung gekommen ist.«
Da sie aufgegessen hatte, lehnte sie sich zurück und fixierte ihn mit einem Blick, der jedem aufsässigen Achtjährigen ein sofortiges Geständnis und eine Entschuldigung entlockt hätte. Er sah sie direkt vor sich, wie sie mit einem kleinen Übeltäter vor ihrer Schulklasse stand und ihn mit exakt demselben Gesichtsausdruck ansah. »Einem scharfen, spitzen Gegenstand?« überlegte sie und hob die Brauen. »Wie beispielsweise einem Messer?«
»Wie einem Messer«, bestätigte Zack, verzweifelt bemüht, ernst zu bleiben.
»Deinem Messer?«
»Meinem.« Impertinent grinsend fügte er im Tonfall eines schuldbewußten Kindes hinzu: »Es tut mir leid, Miß Mathison.«
Sie ging auf das Spiel ein, legte die Stirn in Falten und sagte mit gespieltem Ernst: »Ich erwarte, daß du den Reifen reparierst, Zack.«
Das einzige, was seinen Lachanfall verhinderte, war der angenehme Schock, endlich seinen Namen aus ihrem Mund zu hören. »Jawoll, Ma'am«, sagte er. Es war einfach unglaublich, dachte Zack, sein ganzes Leben war ein einziges schreckliches Chaos, und er wollte nichts anderes tun als laut loszulachen und sie in seine Arme zu
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