Perfekt
die Frage beantworten müssen, warum ich von zu Hause weg bin. Danach möchte ich dieses Thema aber ein für allemal vom Tisch haben. Vorausgesetzt, deine Neugierde ist damit gestillt!«
Julie glaubte nicht, daß sie jemals genug über ihn erfahren könnte, doch sie verstand seine Gefühle in diesem speziellen Punkt. Als sie nickte, erklärte er: »Mein Großvater starb, als ich das erste Jahr im College war, und hinterließ meiner Großmutter alles; sie hatte jetzt die volle Verfügungsgewalt. Als erstes beorderte sie Alex, der damals sechzehn war, Elizabeth, damals siebzehn, und mich während der Sommerferien nach Hause und hielt auf der Terrasse ein kleines Familientreffen ab. Um es kurz zu machen: Sie teilte Alex und Elizabeth mit, daß sie sie aus ihren Internaten nehmen und auf örtliche Schulen schicken würde, und daß sie vorhätte, ihr Taschengeld bis auf ein absolutes Minimum zu beschneiden. Falls einer von beiden es jemals wieder mit Drogen, Alkohol, Bettgeschichten etc. zu tun hätte, würde sie dafür sorgen, daß sie keinen müden Cent bekämen. Um das volle Ausmaß ihrer Strafe erkennen zu können, mußt du wissen, daß wir daran gewöhnt waren, unbeschränkte Mittel zur Verfügung zu haben. Jeder von uns hatte einen schicken Sportwagen mit allem Drum und Dran, wir kauften uns nur die teuersten Klamotten und so fort.« Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich werde nie den Gesichtsausdruck von Alex und Elizabeth vergessen, als sie das sagte.«
»Die beiden haben ihre Anordnungen also befolgt?«
»Natürlich haben sie das. Was hätten sie denn sonst tun sollen? Sie konnten doch nichts weiter als Geld ausgeben und wären nie in der Lage gewesen, sich auch nur einen Cent zu verdienen. Und das wußten sie auch.«
»Aber du wolltest dich nicht auf diesen Handel einlassen und bist deshalb weggegangen«, vermutete Julie.
Sein Gesicht verhärtete sich zu einer ausdruckslosen, emotionslosen Maske - und das beunruhigte sie außerordentlich. »Das war nicht der Handel, den sie mir vorschlug.« Nach einer längeren Pause fügte er hinzu: »Sie befahl mir, das Haus zu verlassen und nie wieder zurückzukommen. Sie sagte meinen Geschwistern, daß ihnen dasselbe Schicksal drohe, wenn sie jemals versuchen sollten, Kontakt zu mir aufzunehmen oder zulassen würden, daß ich sie kontaktiere. In diesem Augenblick hat sie mich für immer verstoßen. Deshalb händigte ich ihr - auf ihr Geheiß hin - meine Autoschlüssel aus und ging zu Fuß die Auffahrt hinunter und den Hügel hinab zum Highway. Ich hatte ungefähr fünfzig Dollar und die Kleider, die ich am Leib trug. Ein paar Stunden später hat mich ein Lastwagen mitgenommen, der zufälligerweise Kulissen für die Empire Studios geladen hatte, und so kam ich nach Los Angeles. Der Fahrer war sehr nett und legte bei Empire ein gutes Wort für mich ein. Sie gaben mir einen Job auf der Laderampe, wo ich mein Geld verdiente, bis ein vertrottelter Regisseur zu spät bemerkte, daß er noch ein paar Statisten benötigte - und das war mein Filmdebüt. Ich bin dann wieder zurück aufs College gegangen, habe dort meinen Abschluß gemacht und bin weiter ins Filmgeschäft hineingeraten. Ende der Geschichte.«
»Aber warum hat deine Großmutter dir das angetan und deinen Geschwistern nicht?« fragte Julie und versuchte, nicht so betroffen auszusehen, wie sie sich fühlte.
»Ich bin sicher, daß sie glaubte, einen guten Grund dafür zu haben«, antwortete er achselzuckend. »Wie schon gesagt, erinnerte ich sie an meinen Großvater und alles, was er ihr angetan hatte.«
»Und du hast danach nie - nie mehr etwas von deinen Geschwistern gehört? Hast du nie versucht, heimlich zu ihnen Kontakt aufzunehmen, oder sie zu dir?«
Sie hatte das Gefühl, daß dieses Thema von allem, was er erzählt hatte, am schmerzlichsten für ihn war. »Als mein erster Film rauskam, habe ich beiden geschrieben und meine Adresse angegeben. Ich dachte, sie würden vielleicht...«
Stolz auf dich sein, dachte Julie, als er nicht weitersprach. Sich für dich freuen. Dir antworten.
An seinem kalten, leeren Gesichtsausdruck konnte sie ablesen, daß nichts davon zutraf, doch sie mußte es genau wissen. Mit jedem Augenblick lernte sie ihn besser kennen. »Haben sie dir geantwortet?«
»Nein. Und auch ich habe nie versucht, sie zu erreichen.«
»Aber was, wenn deine Großmutter ihre Post abgefangen hat und sie deine Briefe nie bekommen haben?«
»Sie haben sie bekommen. Damals hatten sie eine kleine
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