Perfekt
Seite zu, hatte jetzt aber die Sonnenbrille abgenommen und hielt sie in der Hand. Als ob er ihren Blick spüren würde, drehte er den Kopf zu ihr hin. Seine Augen wurden schmal, als er die auseinandergefaltete Landkarte in ihrer Hand sah, und im selben Augenblick konnte Julie zum ersten Mal deutlich sein hell erleuchtetes Gesicht sehen, ohne daß die Sonnenbrille einen Großteil davon verdeckte.
»Gegen vier Uhr heute nachmittag«, fuhr die Stimme im Radio fort, »entdeckten Beamte, daß der verurteilte Mörder Zachary Benedict während eines Aufenthaltes in Amarillo entkommen ist ...«
Sekundenlang wie gelähmt, starrte Julie in sein hartes Gesicht.
Und sie erkannte es.
»Nein!« schrie sie, als er den Hörer fallen ließ und auf sie zugerannt kam. Sie stürzte zur Fahrertür, riß sie auf und warf sich quer über die Vordersitze, um den Verriegelungsknopf auf der Beifahrerseite zu drücken. Doch er war um Sekundenbruchteile schneller, riß die Tür von außen auf und packte ihr Handgelenk. Die Angst verlieh ihr ungeahnte Kräfte, so daß sie es fertigbrachte, sich loszureißen und sich durch die offene Fahrertür zurückzuwerfen. Dabei fiel sie auf ihre Hüfte, rappelte sich aber auf und fing zu rennen an. Auf der schneeglatten Fahrbahn ausrutschend, schrie sie um Hilfe, obwohl sie genau wußte, daß niemand in der Nähe war, der sie hören konnte. Bevor sie sich auch nur fünf Meter vom Auto entfernt hatte, war er bei ihr, drehte ihr den Arm auf den Rücken, zog sie zurück und preßte sie gegen die Seite des Blazer. »Halten Sie still und seien Sie ruhig!«
»Nehmen Sie das Auto!«, schrie Julie. »Behalten Sie es, und lassen Sie mich hier!«
Ihre Worte ignorierend, blickte er über seine Schulter auf die Landkarte von Colorado, die sie fallen gelassen und die der Wind an einen rostigen Abfallcontainer geweht hatte, der ein paar Meter entfernt stand. Wie in Zeitlupe beobachtete Julie, wie er einen schwarz glänzenden Gegenstand aus der Tasche zog und ihn auf sie richtete, während er langsam rückwärts zu der Landkarte ging und sie aufhob. Eine Waffe. Gütiger Gott im Himmel, er hatte eine Waffe!
Sie hatte keine Kontrolle mehr über sich und begann am ganzen Leib zu zittern. Gleichzeitig lauschte sie mit wachsender Hysterie der Warnung, mit der der Nachrichtensprecher seine Mitteilung beendete: »Benedict ist vermutlich bewaffnet, und er ist sehr gefährlich. Wer ihn gesehen hat, sollte umgehend die Polizei in Amarillo oder die nächste Polizeistation verständigen. Versuchen Sie nicht, sich ihm zu nähern. Ein zweiter entflohener Häftling, Dominic Sandini, konnte inzwischen gefaßt werden und befindet sich wieder in Haft ...«
Ihre Knie drohten nachzugeben, als sie ihn wieder auf sich zukommen sah, die Pistole in der einen Hand, die Landkarte und das Papier mit der Wegbeschreibung in der anderen.
Autoscheinwerfer kamen etwa eine viertel Meile entfernt über den Hügel, und er steckte die Waffe wieder in die Jackentasche, so daß man sie nicht mehr sehen konnte, ließ sie jedoch nicht aus der Hand. »Steigen Sie ein«, befahl er.
Julie warf dem Pritschenwagen, der die Straße entlangkam, einen kurzen Seitenblick zu und überlegte verzweifelt, wie ihre Chancen stünden, den Fahrer des Wagens auf sich aufmerksam zu machen, bevor Zachary Benedict sie niederschießen würde. »Versuchen Sie's lieber nicht«, warnte er sie mit eisiger Stimme.
Ihr Herz schlug wie wild, als sie den Pritschenwagen an der Kreuzung links abbiegen sah, aber sie widersetzte sich seinen Anordnungen nicht. Noch nicht. Nicht hier. Ihr Instinkt sagte ihr, daß diese verlassene Straße viel zu einsam war, um irgend etwas zu erreichen - außer erschossen zu werden.
»Vorwärts!« Er packte sie am Arm und führte sie zu der Fahrertür, die immer noch offenstand. In der anbrechenden Dämmerung eines verschneiten Winterabends ging Julie Mathison mit schlotternden Gliedern neben einem überführten Mörder her, der eine Waffe auf sie gerichtet hielt. Sie hatte das unwirkliche Gefühl, in einer Realität gewordenen Szene aus einem seiner Filme mitzuspielen - und zwar in jener Szene, in der die Geisel erschossen wurde.
18
Ihre Hände zitterten derart, daß sie Mühe hatte, den Zündschlüssel umzudrehen, und bei dem Versuch, den Wagen anzulassen, mehrmals den Motor abwürgte. Er saß auf dem Beifahrersitz und beobachtete sie scharf. »Fahren Sie!« schnappte er, als der Motor endlich lief. Julie schaffte es, das Auto zu wenden und zum
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