Perfekt
direkt erleichtert fühlte. Ein rotes Auto überholte sie, schnitt sie, um die nächste Ausfahrt nicht zu verpassen, geriet ins Schleudern und verpaßte den Blazer nur um wenige Zentimeter - und das auch nur, weil die junge Frau neben ihm die Situation genau richtig einzuschätzen wußte, blitzschnell reagierte und den großen Wagen überraschend gut im Griff hatte. Unglücklicherweise fuhr sie aber auch verdammt schnell und legte dabei eine Aggressivität und eine Furchtlosigkeit an den Tag, die seiner Erfahrung nach typisch texanisch waren.
Er überlegte gerade, wie er ihr vorschlagen könnte, sie solle ihn fahren lassen, als sie ruhig, aber etwas amüsiert sagte: »Entspannen Sie sich. Ich fahre jetzt langsamer. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen.«
»Ich hatte keine Angst«, erwiderte er automatisch.
Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und lächelte milde: »Sie halten sich mit beiden Händen am Armaturenbrett fest, das ist an und für sich ein sicheres Anzeichen dafür.«
Zwei Dinge fielen Zack fast gleichzeitig auf: Er war so lange im Gefängnis gewesen, daß er völlig verlernt hatte, mit einer Frau eine entspannte, leichte Konversation zu führen -und zum anderen, daß Julie Mathison ein atemberaubendes Lächeln hatte. Ihr Lächeln brachte nicht nur ihre Augen zum Strahlen, sondern erleuchtete ihr ganzes Gesicht, verlieh ihren an sich nur hübschen Zügen eine bezaubernde Schönheit. Da es unvergleichlich angenehmer war, sich mit ihr zu beschäftigen, als sich über Dinge Sorgen zu machen, an denen er momentan doch nichts ändern konnte, konzentrierte Zack sich voll und ganz auf sie. Bis auf eine Spur Lippenstift war sie ungeschminkt; die Frische, die sie ausstrahlte, und die schlichte Art, wie sie ihr dichtes, glänzend braunes Haar trug - das alles brachte ihn zu der Vermutung, daß sie allerhöchstens Anfang Zwanzig war. Andererseits trug sie eine natürliche Selbstsicherheit zur Schau, die nicht zu einer Zwanzigjährigen passen wollte. »Wie alt sind Sie?« fragte er unverblümt, und im selben Moment noch wurde er sich der brüsken Taktlosigkeit seiner Frage bewußt. Sollten sie ihn nicht kriegen und ins Gefängnis zurückschicken, würde er sich einiges wieder neu aneignen müssen, was er immer für selbstverständlich gehalten hatte - die einfachsten Höflichkeitsregeln zum Beispiel.
Anstatt sich von der Frage irritieren zu lassen, schenkte sie ihm ein weiteres bezauberndes Lächeln und antwortete hörbar amüsiert: »Ich bin sechsundzwanzig.«
»Mein Gott«, hörte Zack sich selbst sagen, dann schloß er, entsetzt über seine eigene Unbeholfenheit, die Augen. »Ich meine«, erläuterte er, »Sie sehen gar nicht so alt aus.«
Sie schien sein Unbehagen zu ahnen, denn sie lachte leise und entgegnete: »Wahrscheinlich deshalb, weil ich erst seit ein paar Wochen sechsundzwanzig bin.«
Er traute sich nicht mehr, irgend etwas Spontanes zu äußern und beobachtete deshalb das ständige Hin und Her der Scheibenwischer, die einen halbförmigen Teil der Windschutzscheibe von immer dichter fallendem Schnee freihielten, während er seine nächste Frage daraufhin prüfte, ob auch sie irgendwelche Taktlosigkeiten berge. Nein, diese schien in Ordnung zu sein, und er entschloß sich, sie zu stellen: »Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Lehrerin.«
»Sie sehen gar nicht so aus.«
Ihr Lachen brachte ihre Augen wieder zum Leuchten. Völlig irritiert und verwirrt, weil er sich ihre Reaktion nicht erklären konnte, fragte er kurzerhand: »Habe ich irgend etwas Komisches gesagt?«
Julie schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, überhaupt nicht. Die meisten älteren Leute sagen das.«
Zack war sich nicht sicher, ob sie ihn »älter« nannte, weil er in ihren Augen tatsächlich so alt aussah, oder ob sie sich damit auf nette, witzige Art für seine unangebrachten Bemerkungen über ihr Alter und ihr Aussehen revanchieren wollte. Aus diesen Gedanken riß ihn ihre Frage, was er denn beruflich mache, und er nannte den nächstbesten Beruf, der zu dem zu passen schien, was er ihr bisher von sich erzählt hatte.
»Ich arbeite in der Baubranche.«
»Wirklich? Mein Bruder ist auch in der Baubranche - er hat eine Baufirma. Welche Art von Bauarbeiten machen Sie?«
Zack wußte kaum, wie man einen Nagel einschlug, und wünschte deshalb, er hätte ein unverfänglicheres Thema angeschnitten oder, noch besser, ganz den Mund gehalten. »Mauern«, sagte er. »Ich baue Mauern.«
Sie sah nicht mehr auf die Straße,
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