Perfekt
auch noch die - die Unverschämtheit, mich eine Xanthippe zu nennen?« Ihre Schimpftirade wurde dadurch unterbrochen, daß er ein silbrig glänzendes Objekt, das Julie unschwer als Schlüssel identifizierte, hochhielt und dann in das Türschloß steckte. Mit übertriebenem Schwung öffnete er die Tür und ließ ihr mit einer weit ausholenden Geste den Vortritt. »Wir haben ja bereits festgestellt, daß ich, was Sie angeht, gegen alle gesellschaftlichen Regeln verstoße. Jetzt schlage ich vor, daß Sie eintreten und sich umsehen, während ich unsere Sachen aus dem Auto hole. Warum entspannen Sie sich nicht etwas«, fügte er hinzu. »Erholen Sie sich. Genießen Sie die Aussicht. Tun Sie so, als seien Sie hier auf Urlaub.«
Julie starrte ihn mit offenem Mund an, dann sagte sie ärgerlich: »Ich bin nicht auf Urlaub hier! Ich bin eine Geisel, und erwarten Sie bloß nicht, daß ich das vergesse!«
Als Antwort blickte er sie so schmerzlich an, als sei sie unglaublich schwierig. Sie sah weg und marschierte hocherhobenen Hauptes ins Haus, das gleichzeitig rustikal und unglaublich luxuriös wirkte. Es war um einen riesigen, sechseckigen Wohnraum herum errichtet, von dem drei Türen in Schlafzimmer-Suiten führten. Die hohe Holzdecke ruhte auf mächtigen Zedernholzsäulen, und über eine Wendeltreppe erreichte man eine Galerie, die als Bibliothek diente und mit geschmackvollen Bücherregalen verkleidet war. Vier der sechs Wände bestanden ganz aus Glas und boten einen Panoramablick über die Berge, der bei klarem Wetter einfach atemberaubend sein mußte. Die fünfte Wand bestand aus Stein und barg einen riesigen, offenen Kamin. Vor dem Kamin stand ein langes, L-förmiges Sofa aus handschuhweichem silbergrauem Leder. Gegenüber dem Sofa und mit Blick auf die Fenster befanden sich zwei dick gepolsterte Sessel mit silbergrau-grün gestreiftem Bezug, der farblich zu den einladenden Kissen auf dem Sofa paßte. Ein dicker Teppich - auch er war auf die Einrichtung abgestimmt - bedeckte einen Teil des blankpolierten Holzbodens vor dem Kamin. Zwei weitere Sesselpaare standen einladend in der Nähe der Fensterfront, und ein Schreibtisch war in eine Nische der Glaswände eingepaßt. Zu jeder anderen Zeit wäre Julie beim Anblick dieses wunderschönen Ambientes ehrfürchtig fasziniert gewesen, doch sie war viel zu erschöpft und zu hungrig, um dem Ganzen mehr als einen unaufmerksamen Blick zu schenken.
Sie drehte sich um und wanderte zu der praktischen, elegant-modernen Küche hinüber, die sich entlang der Rückwand des Hauses erstreckte und vom Wohnraum durch eine hohe Theke getrennt war, vor der sechs Lederstühle standen. Mit knurrendem Magen blickte sie auf die Eichenholzschränke und den passend verkleideten Einbaukühlschrank, doch schon hatte die Erschöpfung die Oberhand gewonnen. Sie kam sich vor wie ein gemeiner Dieb, als sie einen Schrank öffnete, in dem Geschirr und Gläser aufbewahrt wurden, dann den nächsten, hinter dessen Tür sich -glücklicherweise - eine große Auswahl von Lebensmitteldosen befand. Entschlossen, sich ein Sandwich zu machen und dann ins Bett zu gehen, streckte sie gerade zögernd die Hand nach einer Dose Thunfisch aus, als Zack die Hintertür öffnete und sie ansah. »Darf ich daraus schließen«, sagte er und klopfte den Schnee von seinen Stiefeln, »daß Sie über hausfrauliche Fähigkeiten verfügen?«
»Sie meinen, ob ich kochen kann?«
»Ja.«
»Nicht für Sie.« Julie stellte die Thunfischdose wieder zurück und schloß die Schranktür im selben Moment, in dem ihr Magen mit einem verräterischen Geräusch dagegen protestierte.
»Herrgott, sind Sie dickköpfig!« Er rieb seine kalten Hände gegeneinander, ging zum Thermostat hinüber und stellte die Heizung an. Dann wandte er sich dem Kühlschrank zu und öffnete die Tür des Gefrierfachs. Julie lugte hinter seinem Rücken hinein und sah Dutzende dicker Steaks und Koteletts, riesige Stücke Braten sowie jede Menge verschiedener Gemüse, manche noch roh, andere bereits zubereitet. Es war eine Auswahl, die jedem Feinkostgeschäft Ehre gemacht hätte. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, als er ein gut drei Zentimeter dickes Steak herausholte, doch die Erschöpfung war stärker. Die Erleichterung darüber, das Auto mit einem warmen Haus vertauscht zu haben und nach einer nervenaufreibenden, scheinbar endlosen Fahrt heil angekommen zu sein, führte dazu, daß sie sich mit einemmal völlig ausgelaugt fühlte. Plötzlich merkte sie, daß ihr
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