Performer, Styler, Egoisten
Spiel. Und auch das eigene Selbst wird den Jugendlichen zum Bild, das sie immer häufiger und intensiver betrachten, um es dann bearbeiten und gestalten zu können – mit Modeartikeln, Kosmetikpräparaten, Piercings und Tattoos und letztlich sogar mit der Hilfe der plastischen Chirurgie.
Welche Rolle kommt nun in der Zeit der Bilder dem Hören und dem Hörsinn zu? Im Gegensatz zu den Bildern, dem Sichtbaren, das in der Zeit verharrt, sind Töne flüchtige Erscheinungen; so schnell sie kommen, so schnell sind sie auch wieder verschwunden. „Das Sichtbare verharrt in der Zeit, das Hörbare hingegen vergeht in der Zeit.“ (Welsch 1996: 247) Diese Flüchtigkeit und Ungebundenheit der Töne ist ihr großer Vorteil, weil sie dadurch schwerer beherrschbar sind. Im Gegensatz zum Sichtbaren an keinen materiellen Gegenstand gebunden, genießen sie eine besondere Freiheit. Demzufolge ist Musik für Theodor W. Adorno auch das Medium der Freiheit, während das Sehen ein Medium der Herrschaft ist (vgl. ebd.: 248).
Zur Wirkungsweise von Musik
Bereits Platon wusste um die magische Kraft der Musik, die in der Lage ist, die Menschen vor allem emotional zu bewegen. Er hielt die Musik für gefährlich, „weil am tiefsten in die Seele Rhythmus und Harmonie eindringen“ (Ammon 2011: 24). Platon war der Überzeugung, dass die Musik starke Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen habe und in letzter Konsequenz sogar die Form des Staates beeinflussen könne. Aus diesem Grund müsse sie auch staatlich kontrolliert werden. Bestimmte Tonarten, wie klagende oder weiche Töne, waren im Rahmen seines utopischen Staatsentwurfes sogar verboten, weil sie bei den Wächtern des Staates zu Verweichlichung und Schlaffheit führen könnten (vgl. ebd.: 20).
Aristoteles wies die rigorosen Zensurvorstellungen Platons in seiner Politika zurück. Er betrachtete die Musik nicht alleine im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit für Herrschaft und Staat. Für ihn hatte Musik nicht nur der Erziehung von guten Staatsbürgern zu dienen, sondern auch dem Vergnügungs- und Entspannungsbedürfnis der Menschen. Im Gegensatz zu Platon billigte Aristoteles den Menschen auch das Recht auf zweckfreies Vergnügen zu, indem er meinte, „die Lebensweise muss übereinstimmungsgemäß nicht bloß über das sittlich Edle verfügen, sondern auch über das Vergnügen“ (zitiert nach ebd.: 27).
Für Friedrich Nietzsche, den Philosophen, dem ein Leben ohne Musik einfach ein Irrtum gewesen wäre, lag der Kern der musikalischen Wirkung in der Aufhebung von Identität und Individuum. Nietzsche sieht das Leben beherrscht durch die Dualität zwischen dem apollinischen und dem dionysischen Prinzip. Während Apollo für Individualität durch Schönheit und Bildung steht, manifestiert Dionysos die Aufhebung der Individualität im Rausch (vgl. ebd.: 213ff). Im Rausch der Musik entgrenzt sich der Mensch, entzieht sich der bestimmenden Macht der Rationalität und findet so zum innersten Kern der Dinge. „Wir sind wirklich in kurzen Augenblicken das Urwesen selbst und fühlen dessen unbändige Daseinsgier und Daseinslust.“ (Nietzsche zitiert nach ebd.: 219)
Nietzsches Prinzip des Dionysischen enthält einen großen Erklärungswert für das Verhalten von Jugendlichen in den popkulturellen Musikevents unserer Gegenwart. Im Rahmen dieser Veranstaltungen geht es für die Jugendlichen darum, sich selbst als Individuum mit seinen alltäglichen Sorgen, Nöten und Zumutungen zu vergessen, aufzugehen in einer von Emotionen bewegten Masse, sich in rauschhafte Stimmungen zu versetzen, die über das durch eine instrumentelle Vernunft beherrschte Leben in einer durchgehend regulierten und normierten Gesellschaft hinausführen, um vorübergehend die Daseinsgier und Daseinslust des freien Urwesens spüren zu können.
Das dichotomische Konzept der klassischen Ästhetik
Der populären Musik der Jugendkulturen wird im musikästhetischen Diskurs der Gegenwart nach wie vor ein geringer Wert beigemessen. Im Gegensatz zur „wertvollen“ hochkulturellen Kunstmusik gilt die populäre Musik der Jugendkulturen noch immer als trivial, von niederem Wert und roh (vgl. Fuhr 2007: 33f.). Das dichotomische Konzept, in dem strikt zwischen Ernster Musik und Unterhaltungsmusik unterschieden wird, hat eine wichtige Funktion für die symbolische Demonstration von sozialer und kultureller Ungleichheit und damit für deren Stabilisierung. Pierre Bourdieu hat auf die besondere Klassifikationsfähigkeit von
Weitere Kostenlose Bücher