Performer, Styler, Egoisten
plündern und brandschatzen, sind hier am Werk, sondern Opfer des „solipsistischen spekulativen Tanzes des Kapitals (...), der seine Profitziele mit gesegnetem Gleichmut verfolgt und sich keinen Deut darum kümmert, wie sein Fortschreiten die gesellschaftliche Wirklichkeit beeinträchtigt.“ (Ebd.: 19)
Unpolitische Demonstration von Unmut
Für Hartmut M. Griese ist Gewalt eine Art Seismograph für wachsende soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und den Verlust an sozialen Bindungskräften (vgl. Griese 2007: 163f). Die Unruhen und Aufstände treten also dort auf, wo die neoliberale Ökonomisierung des Sozialen das Leben von Randgruppen in sozialer und kultureller Hinsicht dermaßen einschränkt, dass Regelverletzungen und Normenbrüche für diese zur emotionalen Notwendigkeit werden. Die Beteiligung am Gewaltexzess ist ein emotionaler Ausgleich für die täglich erlittene Ausgrenzung und Missachtung und gibt den Akteuren zumindest das vorübergehende Gefühl, auf die sie umgebende gesellschaftliche Wirklichkeit Einfluss ausüben zu können und Macht zu haben. Der Aufstand in den Ghettos ist auch als vorübergehende Selbstermächtigung der Machtlosesten unserer Gesellschaften zu sehen.
Diese Revolten sind aber eher nicht politische Statements im traditionellen Sinn. Vielmehr sind sie spontane Äußerungen von Unmut und Unzufriedenheit. Denn die sozialen Randgruppen in den europäischen Metropolen sind der Politik zu sehr entfremdet worden, um noch im hergebrachten Sinne politisch denken und handeln zu können. Sie finden in einer postpolitischen Gesellschaft, in der an die Stelle einer lebendigen, agonistischen Diskussion zwischen gegnerischen Parteien ein uninteressanter, undynamischer, träger Konsens der Mitte getreten ist, kein politisches Weltbild und keine politische Kraft mehr, mit Hilfe derer sie ihre Interessen glauben vertreten zu können. In diese Leerstelle könnten in Zukunft noch stärker rechtspopulistische Kräfte eintreten, die zwar auch nicht mehr zu bieten haben als ein bis zur Lächerlichkeit aufgeblasenes ideologieloses populistisches Medientheater, die ihre Rolle aber zumindest distinkt und mit Leidenschaft spielen (vgl. Mouffe 2007: 87).
Gewalt als Symbol von Moral- und Werteverlust
Vor allem von konservativen KommentatorInnen wird angesichts von gewalttätigen Revolten gerne das Thema des Werteverlustes angesprochen. Dabei wird der Vorwurf erhoben, dass es in unserer individualisierten und wertepluralen Gesellschaft nicht mehr gelingen würde, zentrale und für alle gültige Werte des menschlichen Zusammenlebens zu vermitteln. Jeder tue nur, was er persönlich wolle, die Empathie für das gemeinschaftliche Ganze sei verloren gegangen, und Schuld daran trage die mangelhafte Werteerziehung in Elternhaus und Schule. Damit wird das Gewaltproblem zu einem Erziehungsproblem gemacht und auch die Schuldigen für Werteverlust und Gewaltexzesse sind schnell gefunden. Wie schön, wenn die Welt so einfach ist. In diesem Zusammenhang bringt Hartmut M. Griese einen Gedanken ins Spiel, der die in diesem Punkt häufig einmütige Meinung der konsensualen Mitte subversiv herausfordert: Immer, wenn Gesellschaft und Politik versagen, erfolgt der Ruf nach Pädagogik und Erziehung (vgl. Griese 2007: 156).
Diese Aussage tut weh, scheint aber wahr zu sein. Ganz abgesehen davon, ob moralische Werte in einer vom zweckrationalen Ökonomismus beherrschten Gesellschaft überhaupt noch Relevanz für das Handeln der Menschen haben können, stellt sich doch die Frage, wo in Politik und Zivilgesellschaft, von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, die moralischen Persönlichkeiten sind, deren Handeln als Vorbild für junge und ältere BürgerInnen positiv wirksam sein könnte? Ist nicht im Gegenteil eine ansteigende Flut von negativen Vorbildern zu beobachten, die politische Ämter für den eigenen Vorteil missbrauchen, in wirtschaftlichen Führungspositionen Korruption praktizieren und selbst in kirchlichen Ämtern ein Sexualverhalten an den Tag legen, das weit ab von dem liegt, das sie in Sonntagspredigten der ihnen anvertrauten Herde der Gläubigen anempfehlen. Wie kann eine solche von Doppelmoral und egozentrischem Eigennutz getriebene politische und religiöse „Elite“ den Ausgegrenzten und Perspektivlosen mangelnde Moral und fehlenden Respekt vor dem Eigentum der anderen vorwerfen? Und welche moralische Kompetenz befähigt sie, sich an die Spitze einer pädagogischen Bewegung für mehr Ehrlichkeit,
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