Performer, Styler, Egoisten
Selbstpräsentation, mit denen es ihnen möglich wird, sich von Identitätsentwürfen und Lebensstilkonzeptionen anderer abzugrenzen. Vor allem die Musik und ihre Kultur (Stars, Mode, Frisuren, Lebensphilosophie etc.) werden dazu genutzt, um sich gesellschaftlich und in jugendkulturellen Kontexten zu verorten.
In Unterscheidung oder Ergänzung zum Begriff des „kulturellen Kapitals“ bei Pierre Bourdieu hat John Fiske den Begriff des „populärkulturellen Kapitals“ entwickelt (vgl. Müller u. a. 2002: 18). Kulturelles Kapital nach Bourdieu ist kulturelles Wissen, das im Zuge des Sozialisationsprozesses in der Familie und in Bildungsinstitutionen weitergegeben und angeeignet wird. Für die Zugehörigkeit zu den höheren sozialen Schichten ist der Erwerb von vor allem „legitimem kulturellem Kapital“, also hochkulturellen Wissensbeständen und Kompetenzen, ausschlaggebend. Die Verfügungsgewalt über legitimes Kapital, also die Beherrschung des legitimen kulturellen Codes ist von hoher Statusrelevanz. Ein wichtiger Teil des legitimen kulturellen Codes ist die Musik. Oper, instrumentale Kunstmusik und in neuerer Zeit auch Jazz und Chanson sind die zentralen Bestandteile der legitimen Musikkultur. Im Gegensatz dazu werden Kompetenzen, die sich junge Menschen bezüglich der populären Kultur, in unserem thematischen Kontext der Pop- und Rockmusik, aneignen, weder gewürdigt noch repräsentieren sie einen Statuswert, der ihren TrägerInnen Akzeptanz in der bürgerlichen Gesellschaft verleihen würde.
Nach John Fiske besteht die innere Logik des populärkulturellen Kapitals in der Abgrenzung gegenüber dem legitimen Kapital des Bürgertums. Es verleiht seinen jugendlichen TrägerInnen Selbstbewusstsein, indem es sie zur aktiven Abgrenzung gegenüber den Trägerschichten des legitimen, hochkulturellen Kapitals ermächtigt (vgl. ebd.: 19). Zudem hat es eine wichtige Funktion, um Zugehörigkeit oder Abgrenzung in Bezug auf die verschiedenen Jugendszenen innerhalb des großen Gesamtfeldes der Jugendkultur zu demonstrieren. Populärkulturelles Kapital hat eine zentrale Funktion für die Selbstbehauptung und Akzeptanz von Jugendlichen innerhalb der szenischen Kontexte, in denen und durch die sie sich bewegen (zum Szenebegriff vergleiche Hitzler/Niederbacher 2010).
Die Aneignung von populärkulturellem Kapital erfolgt in erster Linie im Zuge der Selbstsozialisation, d. h. außerhalb der Familie und anderer pädagogischer Kontexte, innerhalb von Peergroups und Szenen. Während beispielsweise Werte, Haltungen und Verhaltensweisen mit Bezug auf die Arbeitswelt noch immer im hohen Ausmaß in traditionellen pädagogischen Kontexten vermittelt werden, erfolgt die Vermittlung von jugendkulturellen Kompetenzen, z. B. was Lebensstilfragen oder Fragen des Beziehungslebens betrifft, im Verfahren der Selbstsozialisation. In der pädagogischen Literatur wird diese dichotomische Sozialisationskonstellation häufig auch als Parallelsozialisation bezeichnet (vgl. Müller u. a. 2002: 19ff.).
Zur Funktion der Musiknutzung der Jugend
Die Musik und die sie umgebende Kultur haben für Jugendlichen eine wichtige Funktion für die Identitätsbildung und die Entwicklung von ästhetischen Selbstkonzepten. Vorbilder für mögliche Identitätskonzepte und Selbstdarstellungsmodi liefern die KünstlerInnen der von ihnen bevorzugten Musikgenres. Der Lifestyle und die Lebensphilosophie der InterpretInnen werden ganz oder partiell übernommen und im Zuge des praktischen Experiments im jugendkulturellen Alltag auf ihre Tauglichkeit hin überprüft. John Fiskes Studie über die „Madonna-Möchtegerns“, die sich in den 1980er Jahren wie Madonna kleideten und auch ihre Position zum männlichen Geschlecht und zur Sexualität an Madonnas Selbstverständnis und Selbstpräsentation ausrichteten, zeigt uns, dass die kommerzielle Musikkultur durchaus auch eine gesellschaftskritische Dimension aufweisen kann. So werden durch Madonna konventionelle Repräsentationen von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft parodiert. Die Parodie ist ein wichtiges Mittel zur Hinterfragung der herrschenden Ideologie. Indem die Fans Madonnas diesen parodistischen Umgang ihres Vorbildes mit dem herrschenden Geschlechterdiskurs wahrnehmen und in ihrer modischen Selbststilisierung eventuell sogar praktisch nachvollziehen, werden sie selbst zum Bestandteil einer ideologiekritischen Bewegung, die die herrschende Macht zumindest auf der ästhetischen Ebene herausfordert (vgl.
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