Performer, Styler, Egoisten
Verführung aus. Das Wahre, das Richtige will empfunden, nicht verstanden werden. Der postmoderne Mensch ist nur vordergründig ein cooler Pragmatiker oder gar ein Wesen der Vernunft. In Wirklichkeit ist er die Repräsentation eines Gefühls- und Identitätschaos, das einmal eine pragmatisch-utilitaristische Seite und dann wieder eine neoromantisch-gefühlsorientierte Seite, einmal den nutzenorientierten Pragmatiker und dann wieder den eskapistischen Ästheten in den Vordergrund treten lässt.
Krieg in den Städten
Was treibt die Ghetto-Kids zur Gewalt und wer trägt die Verantwortung?
Wir leben in einer Kultur, in der das Sichtbare, alles das, was in Bildern darstellbar ist und dargestellt wird, das Zeitgeschehen und die Reflexion darüber dominiert. Diese Dominanz des Bildes lässt uns manchmal vergessen, dass Bild nicht gleich Realität ist, dass die Bilder von der Wirklichkeit diese zumindest verfremden, wenn sie ihr nicht gar der Bedeutung nach diametral entgegengesetzt sind.
Die mediale Omnipräsenz der Gewalt
Gewaltereignisse sind gerade in einer Gesellschaft besonders quotenwirksam, in der Gewalt immer stärker tabuisiert wird, die immer gewaltsensibler, gleichzeitig aber immer besessener von medialen Gewaltdarstellungen und der Diskussion darüber geworden ist. Gewalt ist auch in den Informationssendungen omnipräsent. Skandalisierende und dramatisierende Berichte werden besonders von Privat-TV-Stationen in Umlauf gebracht. Ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Folgen wird von kommerziellen Betreibern alles in einer Form gesendet, die wirtschaftlichen und Quotenprofit erwarten lässt. Und die Medienmanager der Privaten machen sich nicht einmal mehr die Mühe zu verschleiern, dass es ihnen nur mehr um Geld und Quote und nicht mehr um Sachlichkeit und Gegenstandsadäquatheit geht. Wie Horkheimer und Adorno schon im Jahr 1944 festgestellt haben, verwenden diese Medienunternehmen die Wahrheit, dass sie nichts als Geschäft sind, als Ideologie, „um den Schund zu legitimieren, den sie vorsätzlich herstellen“ (vgl. Horkheimer/Adorno 2010: 129).
Subjektive und strukturelle Gewalt
Die immer wieder in europäischen Großstädten aufflammende Gewalt ist kein neues Phänomen. Schon 1991 thematisierten Farin/Seidel-Pielen in ihrer Monographie „Krieg in den Städten“ die soziokulturellen Widersprüche der mitteleuropäischen Urbanität und die durch sie ständig präsente Gefahr des Ausbrechens von Unruhen und Aufständen und brachten praktische Beispiele (vgl. Farin/Seidel-Pielen 1991/2012). Auch das 21. Jahrhundert ist von urbaner Gewalt geprägt. Hervorstechend die Aufstände in den Pariser Vorstädten im Herbst 2005, die Slavoj Zizek in seinem Buch „Gewalt“ thematisiert (vgl. Zizek 2011). Um diese Gewaltphänomene erklärbar zu machen, weist Zizek auf die Notwendigkeit hin, Gewalt in ihrer Vielgestaltigkeit wahrzunehmen. Ignoriert man die Vielgestaltigkeit der Gewalt, dann läuft man Gefahr, den bildvermittelten Einflüssen des sichtbarsten Teils der Gewalt, der subjektiven Gewalt, zu erliegen. Zizek formuliert: „Der überwältigende Schrecken der Gewaltakte und das Mitgefühl, das man für die Opfer hegt, verführen uns unweigerlich dazu, das Denken einzustellen.“ (Ebd.: 11)
Um der manipulativen Bildmacht des sichtbaren Teils der Gewalt nicht zu unterliegen, verweist Zizek auf die Notwen-
digkeit, objektive Aspekte der Gewalt in die Analyse von Gewaltereignissen einzubeziehen. Im Zentrum dabei die „strukturelle Gewalt“, die „die katastrophalen Konsequenzen des reibungslosen Funktionierens unseres ökonomischen Systems“ repräsentiert (ebd.: 10).
Wir können davon ausgehen, dass in der Regel Gewalttäter selbst Opfer von Gewalt sind. Die Akteure der Unruhen in Paris 2005 und der in London 2011 müssen also auch als Opfer struktureller und kultureller Gewalt gesehen werden, die unter Ungleichheits- und Ungerechtigkeitserfahrungen, unter Diskriminierung, Stigmatisierung und Exklusion zu leiden hatten. Wir haben es also nicht, wie in sensationslüsternen Quoten- und Reichweitenmedien beschrieben, mit rücksichtslosen, gewissenlosen und amoralischen Extremisten zu tun, sondern mit den Opfern einer neoliberalen Ökonomie, denen sowohl die materiellen, sozialen als auch kulturellen Lebensgrundlagen entzogen wurden, Menschen ohne individuelle Zukunftsperspektive und ohne Hoffnung auf gesellschaftliche Achtung und Anerkennung. Nicht randalierende Egoisten, die aus Lust am Gewaltexzess
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