Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
begraben lag, doch sie sah nur einen Stumpf.
Endlich wurde die Zugbrücke mit Getöse hinabgelassen und das zweiflüglige Holztor aufgestemmt, doch nicht von einem Burgwächter. Es war Magnus von Bergheim, mit schwarzem Umhang über indigoblauer Tunika, der ihnen mit rotgeränderten Augen entgegenkam und sein Erstaunen nur schlecht verbergen konnte.
Als Elysa den kleinen Burghof betrat, traten Tränen in ihre Augen, die sie hastig wegwischte. Gefühle der Wehmut und dieErinnerung an unbeschwerte Kindertage mischten sich mit der Ahnung von Bedrohung und Bildern eines schreienden, schlagenden Vaters.
Dort, an der Längsseite lag das Wohnhaus, in dem sie acht Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Der Lehm der oberen Geschosswände hatte zu bröckeln begonnen, die Holzläden vor den Fenstern waren morsch. Gegenüber befand sich ein halbverfallenes Nebenhaus, in dem ehedem alle Bediensteten gewohnt hatten und aus dem nun zwei verschüchterte Mägde traten, beinahe noch Kinder, die sich ungelenk verbeugten.
Wo früher die Ställe gewesen waren, gab es nun einen Verschlag, in dem neben zwei Pferden auch Federvieh unterkam, das umherflatterte und den Burghof mit Unrat bedeckte. Nur Magnus bildete eine tadellose Erscheinung, mit gerade gestutztem Bart, sauberem Gewand und geckenhaft spitzen Lederschuhen.
»Was ist geschehen?«, entfuhr es Elysa.
»Was soll schon geschehen sein?«, erwiderte Magnus ungehalten. »Es waren harte Jahre seit Vaters Tod. Das Geld reicht nicht für die notwendigen Reparaturen. Das meiste, was ich noch besitze, werde ich für den Zug ins Heilige Land verwenden, um es dort zu verzehnfachen.« Er betrachtete ihren Habit und runzelte die Stirn. »Wo ist deine restliche Habe?«
»Ich komme mit nichts als dem Gewand auf meinem Leib.«
Magnus murmelte etwas Unverständliches. Dann wandte er sich Clemens zu. »Ich danke Euch, dass Ihr meine Schwester hierher begleitet habt. Doch ich kann Euch keinen würdigen Platz für die Nacht anbieten. Eine meiner Bäuerinnen wird sich Eurer annehmen.«
»Ich bin ein einfaches Strohlager gewöhnt«, erwiderte Clemens. »Gebt mir eine Ecke, in die ich mich legen kann, dann braucht Ihr Eure Hörigen nicht zu bemühen.«
»Sie werden ohnehin zu selten bemüht, ehrenwerter Kanonikus.«Magnus’ Stimme klang gepresst. Aus seinen Poren dünstete der Geruch von saurem Wein.
»Aber du wirst ihn doch nicht gehen lassen, ohne ihm deine Gastfreundschaft zu erweisen?« Elysa wurde es unbehaglich. Hatte sie gedacht, in eine Burg voller Bediensteter zurückzukehren, musste sie nun feststellen, dass sie alleine mit ihrem Bruder und den beiden jungen Mägden sein würde, wenn Clemens die Burg verließ. »Ich bestehe darauf, dass Clemens von Hagen bleibt.«
Dieses hier war kein Ort für sie. Sie würde dem Bruder keinen Anlass zu Streitereien geben und noch im Morgengrauen aufbrechen, um nach Eibingen zurückzukehren.
Ihr Blick wanderte zum Kanonikus, der offenbar ähnliche Gedanken hegte. Sie lächelte zaghaft, was er mit einem aufmunternden Nicken beantwortete.
Auch Magnus verzog seinen Mund zu einem Lächeln. »Teure Schwester, nun haben wir uns seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen. Ich möchte das Wiedersehen mit dir feiern, lass mich hören, wie es dir seitdem ergangen ist. Die Bäuerin, von der ich vorhin sprach, bringt das Essen herauf, sie wird jeden Augenblick hier sein. Sie hat ein sauberes Haus und wird gewiss gut für das Wohlergehen deines Begleiters sorgen.«
»Ich sehe nicht, warum Clemens von Hagen unserem Wiedersehen nicht beiwohnen sollte.«
Magnus von Bergheim schien derartigen Widerspruch nicht gewohnt zu sein. Kurz zog er die Brauen zusammen in aufwallendem Zorn, dann jedoch besann er sich eines Besseren. »Oh, dem Kanonikus wird es gut ergehen. Doch es gibt Dinge zu bereden, die für fremde Ohren nicht bestimmt sind. Lass uns von alten Tagen sprechen, von unserem Vater und von der Mutter. Wovor hast du Angst, Schwester, fürchtest du die Stille der Burg? Ein köstliches Mahl ist bereitet, ich werde die Kerzen entzünden und aufdeine Ankunft anstoßen. Den Kanonikus aber kannst du gleich morgen wieder sehen, bevor er seinen Weg zurück nach Mainz antritt.«
»Du willst über Mutter sprechen?« Elysas Hände krallten sich in ihren Habit. »Ausgerechnet du? Ich kann mich nicht erinnern, dass Mutter dir jemals am Herzen lag.«
Magnus lächelte bitter. »Du warst noch ein Kind, Elysa. Es gab viele Dinge, die du noch nicht verstehen konntest, Dinge,
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