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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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Ohne fragen zu müssen, erfuhr ich, daß die Wohnung fast dreißig Jahre von einer Familie Abetz bewohnt worden war. Der Galerist hatte dies von einer älteren Nachbarin, einer Baronin von Irgendwas. Jedenfalls war die Dame schon über neunzig, als sie ihm von dem Namenswechsel am Türschild berichtete. Verschiedene, ihr unbekannte Personen seien in der Wohnung untergekommen. Kurz nach dem Krieg. Das sei ja überall üblich gewesen, erst Leute, die ausgebombt waren, dann heimatlose Verwandte oder Flüchtlinge, die eingewiesen wurden. Auch die Schwester, die in Paris ansässig war, habe eine Zeit lang dort gewohnt. Schließlich habe sich alles beruhigt. Eines Tages dann habe der Name Perlensamt an der Tür gestanden. Die alte Dame hatte sich darüber gewundert, daß ein neues Namensschild angebracht worden war, ohne daß jemand etwas von einem Ein- oder Auszug bemerkt hatte. Kommen und Gehen ja, geschleppte Koffer und Taschen. Aber kein richtiger Umzug mit Möbelpackern. Vor kurzem hatte einmal ein Transporter vor dem Haus geparkt. Verpackte Dinge wurden hineingetragen, nichts hinaus. Das war aber erst nach dem Mord, nachdem man den unglückseligen Senior mit einem Rettungswagen fortgebracht hatte. Der Galerist kannte die Perlensamts vom Sehen, vornehmlich von Begegnungen im Hof. Nette Leute, eher zurückhaltend, wahrscheinlich Juden, aber das wußte er nicht genau. Sie, eine dunkelhaarige Kleine, südländischer Typ, ritt fast jeden Tag, allerdings montags nie. Darüber hatten sie des öfteren gescherzt – daß der Montag der Sonntag der Galeristen, Friseure und Pferde sei. Ihre Pferde hatten weit draußen gestanden, in einem Polostall, Heerstraße immer weiter nach Nordwesten raus. Er fand das beachtlich, eine nicht mehr so junge Frau, die sich täglich aufmachte, um ihre Pferde zu bewegen.
    »Sie sind überhaupt sehr sportlich gewesen, die beiden. Er ritt die Herbstjagden mit, wie es sich früher in guten Kreisen gehörte. Beide wanderten leidenschaftlich gern. Sie schienen ein ausgewogenes Paar zu sein. Auch von der Statur paßten sie gut zusammen. Er schlank, sie fast zierlich, aber zäh und unternehmungslustig, energisch und selbstsicher. Sie mochten sich sehr, ja, man konnte sehen, daß sie sich liebten. Es ist eine Tragödie. Ich meine, ihr Tod für ihn.«
    Ich hörte weiter, daß die Perlensamts vermögend waren. Auch für den Galeristen schien das von Bedeutung zu sein. Woher sie letztlich kamen, hatte er erst durch die Presse erfahren. Auch, wie sie ihr Geld gemacht hatten. Vorher hatte man immer angenommen, sie hätten geerbt, stammten aus einer alten Familie, wie der Rest der Leute im Haus. Man war erstaunt gewesen, daß sie eigentlich neureich waren. Alle Bewohner waren zudem entsetzt über die Tat. Er selbst war bedrückt. Der Fall bliebe, Urteil oder nicht, mysteriös.
    »Jemand reißt sich doch nicht das eigene Herz heraus!«
    Und der Sohn? Etwas undurchsichtig. Ging offenbar keinem Beruf nach. Gut aussehender Mann. Immer sehr zuvorkommend. Hatte blendende Umgangsformen.
    »So etwas fällt ja auf in Berlin!«
    David Perlensamt interessiere sich wohl für Kunst. Aber das wüßte ich ja besser. Hatte die Eltern selten besucht. War wohl lange im Ausland gewesen. Man munkelte von einem Anwesen auf dem Land. Die Haushälterin erwähnte einmal, daß er eine Art Gutshof betreiben würde. Manchmal kam er mit Eiern, im Sommer auch mit eigenen Tomaten an. Immer allein, nie in Gesellschaft einer Frau. Der alte Herr hatte versucht, den Sohn in seine Firma zu locken. Aber auch das waren nur Gerüchte. Das Gespräch wurde unterbrochen, als eine Dame dazustieß, die ich nicht kannte.

VIER
    Es wurde Herbst. Die Hitze ließ nicht nach. Meine Wohnung hatte – wie viele Altbauwohnungen in Berlin – keine Klimaanlage. Ich konnte kaum schlafen. Es war nicht der erste Morgen, an dem ich bereits zwei Stunden nach Sonnenaufgang im Büro war und die Mails abfragte, die aus anderen Zeitzonen kamen. Es war dämmerig und angenehm kühl. Vor den Fenstern wuchs der Knöterich zu einem fast undurchdringlichen Dickicht. Man mußte sich schon weit aus dem Fenster lehnen, um zu sehen, wie gleißend hell die Sonne schien. Die kleine Wagenfeld-Leuchte auf meinem Schreibtisch brannte, eine Lampe, die man einfach vergessen hatte, nachdem sie von einer Auktion zurückgekommen war. Ich hatte mich ihrer angenommen, wie ich es gern mit Dingen tue, die niemand will.
    Ein merkwürdiger Geruch stand im Raum. Bohnerwachs, Papierleim, und –

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