Perlensamt
mit süffisanten Bemerkungen und dem Wissen um das Profane in der Welt. Als ich sie so sah, hatte ich die Vision einer landverbundenen Aristokratin, vielleicht einer Figur aus Ostpreußen um 1900. Gäbe es so ein Genre Frau, elastisch und feuerfest, Regen abweisend und gewöhnt, in eiskalten Seen zu baden, sicher tanzend auf großem Parkett, ebenso sicher auf dem Rücken der Pferde und ohne Scheu vor Dreck, dann war es Mona an diesem Tag. Sie wußte genau, wovon sie sprach. Ihre Anweisungen waren freundlich, präzise und unmißverständlich. Sie badete in Gewißheit, ohne daß jemand, der an ihr vorbeiging, naß dabei wurde. Ich wußte nicht, wie aus einer Stifterfigur am Straßburger Münster eine pommersche Landadelige wurde. Vermutlich hatte es etwas mit wanderndem Karma und wandernden Sternen zu tun. Männer, die eine solche Frau an ihrer Seite hatten, mußten glücklich sein. Sofern es heutzutage noch Männer gab, die sich für Frauen interessierten. Monas meergrüne Augen schillerten jetzt wie kabbeliges Wasser. Sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick kippen, von der Bücherleiter fallen, den dicken Band über den französischen Realismus im Arm. Gewiß wäre es so gekommen, wenn nicht die Tür aufgegangen wäre, in deren Rahmen Henriette von Seckwitz erschien: an diesem Tag als Sommerfrucht auf Eis, frisch glasiert und unbeeinträchtigt von der Affenhitze, unter der die restliche Welt keuchte. Ihre Ankunft verhinderte, daß ich nach Mona griff.
»Wieso seid ihr schon da?«
Man sah kaum, daß Henriette mit einer Hasenscharte zur Welt gekommen war. Sie gehörte zu den Menschen, die nichts in Frage stellten. Sie war einfach da, voller Trägheit und Langeweile, aber immer in perfektem Maß. Es hieß, sie sei mit allem verwandt, was alten Namen und neue Macht besaß. Gegen so eine Familie hatte eine Mißbildung keine Chance. Ohnehin war der gesamte Schwung der Oberlippe vollständig wiederhergestellt, nur einige winzige Stiche, Nadelstiche eben, verrieten, daß es da eine Unregelmäßigkeit gegeben hatte. Henriettes blonder Schopf stieß knapp auf ein gemustertes Seidentuch, schweinchenrosa wie die Lippen, vermischt mit Orange auf weißem Grund, über ein orangefarbenes Twinset geknotet. Perlenkette. Der Rest, Rock und die lose über die Schulter geworfene Jacke, waren aus Tweed. Zu allem Überfluß trug sie: Strümpfe. Das Unfaßbarste aber waren die orangefarbenen Krokodillederpumps. Henriette sah wie ein trotziges Bonbon aus, das sich langsam und unwillig aus der Zellophanpelle schält. Sie fing meinen Blick, der auf ihren Schuhen klebte.
»Stimmt irgend etwas mit meinen Schuhen nicht?«
»Sind sie wasserdicht?«
»Wie meinst du das? Es regnet doch gar nicht?«
»Oh, du bist gemein, Martini. Henriette, achte nicht auf ihn! Er ist zerfressen von Neid, daß er keine Frau ist.«
Mona war alleine auf den Boden zurückgekehrt. Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde Henriette umarmen. Henriette ging wortlos. Mona legte den Band über die französischen Realisten auf den Tisch.
»Der Courbet. Ich habe mit der Recherche angefangen.«
Sie war immer noch kleinlaut.
»Die anderen schlauen Bücher verweisen auf eine Privatsammlung in Paris, klassische Moderne und zweite Hälfte 19. Jahrhundert. Bis zum Zweiten Weltkrieg war sie in der Rue Desbordes Valmore beheimatet. Aber heute? Das Palais ist längst in anderer Hand. Die Nachkommen der Familie leben vielleicht nicht mehr in Frankreich. Lies das hier …«
Sie reichte mir einen mit Les francs des autres überschriebenen Artikel über Auflösungen privater Sammlungen während der deutschen Okkupation. Aus einem Schweizer Bulletin.
»Schweiz? Ausgerechnet die schreiben darüber?«
»Angriff ist die beste Verteidigung. Der Artikel ist vom letzten November. Nicht, daß das mein Lieblingsthema wäre. Hier ist noch ein Bild von Courbet mit diesem Titel.«
La Vague. Der frische Duft ihres Parfüms hing im Raum. Bei jeder anderen Frau hätte ich eine Absicht dahinter vermutet.
»Wenn ich mich nicht täusche, ist das Motiv bei Courbet nicht gerade selten. Es gibt hier in der Alten Nationalgalerie einen Courbet mit diesem Titel, unten, im Parterre links. Ich bin mir nicht sicher, ob das Motiv exakt dasselbe ist. Warst du schon dort?«
Mona schüttelte den Kopf. Sie wies mit dem Finger auf die Abbildung. »Da, schau, laut Textlegende soll ein Bild aus dieser Serie einer anderen Sammlung zugewandert sein, die möglicherweise im Tessin ansässig ist. Ob es
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