Perlensamt
Verzeichnis der Möbel gegeben. Hinter jedem Objekt stand, was es gekostet hatte, wo es gekauft worden war und welche Person es nach Großmutters Tod erben sollte.
»In Berlin mag man heute noch wissen, was mal auf der Wilhelmstraße los war. Wie ich die Deutschen kenne, ist da jeder Pflasterstein nummeriert und denen, die ’68 geflogen sind, ist ein Gedenkstein gewidmet. Man badet dort gern im eigenen Schlamm, und inzwischen lockt die Art Folklore ja auch Touristenströme an. Mit dieser Selbstzerfleischung können wir hier in Paris nicht konkurrieren. Was die Rue Lauriston, die Rue Greuze oder den Rest des 16. Arrondissements anbelangt: Es ist das 16. Arrondissement, ein schönes, ruhiges Viertel. In erster Linie wohnen reiche Leute dort, heute wie vor siebzig Jahren. Man denkt kaum daran, daß viele von ihnen Juden waren. Wir sind Franzosen, keine boches , die sich an Le Schuldgefühl ergötzen.«
»Schön, daß wir wenigstens Frankreichs Zunge um den tragischen Lebensgeschmack bereichern können, wenn wir schon nichts zum Geschmack Ihrer Küche beizusteuern haben, von der wir seit dem Krieg und der Kollaboration profitierten.«
»Wir? Ich dachte, Sie seien Amerikaner?«
»Meine Mutter ist in Deutschland geboren. Ich fürchte, ich muß mich verabschieden, Maître. Ich habe noch eine Verabredung zum Essen.«
In einem Kiosk erstand ich ein rot eingebundenes Buch, den Stadtplan, den mir George Duras Wochen zuvor empfohlen hatte. Im Hotel entnahm ich dem kleinen Buch den Übersichtsplan im hinteren Schuber und sichtete die Topographie der Stadt. Als ich die Adressen nachschlug und ihre dichte Lage in den einzelnen Arrondissements mit dem großen Plan verglich, bestätigte sich das von Duras vorhergesagte Ergebnis: Die Bande war durch die Straßen, Gassen, Passagen und Wege gekrochen, vermutlich auch durch die Kanalisation, stillgelegte Métro-Schächte oder durch die Katakomben. Der Untergrund von Paris, auch das lernte ich, war durchlöchert wie ein Termitenbau. Auf einem solchen Weg konnte die Sammlung Abetz aus der Stadt geschmuggelt worden sein. Aber wie war sie über die Grenze gekommen?
Plötzlich kam mir die Idee, Edwige anzurufen. Sie mußte von all dem gewußt haben, auch oder gerade weil sie so distanziert tat. Ich versuchte es im Telephonbuch, wurde aber nicht fündig. Kein Eintrag unter Edwige Abèz. Ich rief die Auskunft an. Madame hätte eine Geheimnummer, hieß es. Ich könnte meinen Namen und meine Nummer hinterlassen. Sie würde benachrichtigt, und gegebenenfalls riefe sie zurück. Nachdem ich die Nummer des Hotels angegeben hatte, legte ich mich aufs Bett, um mich ein paar Minuten auszuruhen. Ich wachte einmal kurz auf, fühlte mich aber so zerschlagen, daß ich liegen blieb. Ich glaubte das Bett neben mir zerwühlt, aber leer zu sehen und fragte mich, wer dort wohl gelegen hatte. Ein vertrauter Geruch schwebte im Raum. Monas Parfüm war es nicht. Später wurde ich von starkem Klopfen aus dem Traum gerissen. Dämmerlicht floß durch einen Spalt der Vorhänge. Langsam erinnerte ich mich der wirklichen Ereignisse, meines Vorhabens, Edwige aufzusuchen und der Tatsache, daß Davids Vater sich erschossen hatte. Von draußen bat eine Stimme, den Telephonhörer in die Mulde zu legen. Sobald ich das behoben hatte, schrillte der Apparat. Die Rezeption teilte mir mit, daß eine Madame Abèz zweimal versuchte hätte, mich zu erreichen. Sie hatte eine Nummer hinterlassen.
Einige Minuten lang überlegte ich, ob es jetzt zu spät wäre, sich noch einmal bei Edwige zu melden. Dann entschloß ich mich, Mona in Berlin anzurufen. Ihre Stimme klang frisch und fest, als sie ihren Namen sagte. Sie hatte David noch einmal besucht. Er hatte geschlafen. Die Haushälterin war da und sah stündlich nach ihm. Voller Wärme sagte sie, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie würde morgen früh bei David anrufen und mit der Haushälterin sprechen. Alles Weitere würde man dann sehen. Ich legte auf. Beruhigt war ich nicht. Als Mona David kritisiert hatte, fand ich sie kleinlich. Nun kümmerte sie sich um David, und das war mir auch nicht recht. Um richtig wach zu werden, ging ich unter die Dusche. Noch bevor ich mich abgetrocknet hatte, klingelte das Telephon. Edwige sagte, sie hätte leider vor halb zehn keine Zeit gehabt. Aber wenn ich jetzt noch auf ein Glas zu ihr kommen wollte, würde sie sich freuen.
Bevor ich zu ihr ging, machte ich einen Abstecher zum Aussichtspunkt des Trocadéro. Die winterliche Beleuchtung des
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