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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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Eiffelturms blinkte wie ein Wirbel von Blitzen gegen den nachtschwarzen Himmel. Ein Mann hatte seine Frau aus unklaren Gründen erschossen und sich dann selbst umgebracht – sich gerichtet? Nirgendwo die Spur eines Motivs. Der Sohn, der für das alles keine Erklärung hatte, fühlte sich schuldig und war, nachdem er so lange Haltung bewiesen hatte, zusammengeklappt. Das war das einzig Normale. Edwige schien nichts vom Tod ihres Bruders zu wissen. Sie hatte entspannt geklungen. Ich verließ die Aussichtsplattform ungern. Ein angenehmes Gefühl, das ich lange nicht mehr gehabt hatte, kam auf, jener halbfremde Eindruck einer vertrauten Stadt, in der man nicht wohnt. Ich fühlte mich in der Anonymität geborgen und geschützt, entlastet von der Geschichte, die in meiner Abwesenheit ihren Fortgang nahm. Der Himmel besänftigte mich, die Lichter des Eiffelturms, die fernen Großstadtgeräusche, die sich in der Höhe verloren. Einst hatte ich auch in Berlin das Gefühl gehabt, geschützt und unbeeinflußbar zu sein. Aber Neugier und unbefangenes Interesse gegenüber der deutschen Hauptstadt waren vergangen. Ich war jetzt gewöhnt an ihr Parfüm. Obwohl sie riesig war, viel größer als Paris, erschien sie mir inzwischen überschaubar, als könnte ich ermessen, was in ihr passierte, Tag und Nacht. Vielleicht war mein Verlangen, unentdeckt entdecken zu können, überhaupt der wahre Grund gewesen, warum ich D.D.s Angebot, nach Berlin zu gehen, angenommen hatte. Also mußte ich bald wieder fort. Als ich kehrtmachte, waren es nur wenige Schritte zu Edwige. Stille Seitenstraßen. Niemand kam aus einem der Häuser. Niemand führte seinen Hund spazieren. Meine Schritte hallten auf dem blanken Trottoir wie der inszenierte Gang in einer nächtlichen Filmszene, unwirklich und übertrieben stimmungsvoll. Es gelang mir nicht, in die Zeit hineinzurutschen, in der Davids Großeltern hier gewohnt hatten. Vielleicht fehlte mir die Übung, der Vergangenheit größeren Wertbeizumessen als der Gegenwart.

NEUNZEHN
    Edwige freute sich aufrichtig, mich zu sehen. Sie bat mich herein und forderte mich auf, mich umzusehen, während sie uns etwas zu trinken machen wollte.
    »Was für eine Wohnung, Madame«, entfuhr es mir.
    Es muß geklungen haben, als hätte ich ihr diese Verhältnisse nicht zugetraut. Edwige lächelte nachsichtig. Vermutlich hörte sie das von jedem, der ihre Wohnung zum ersten Mal betrat. Durch eine Fensterfront, die zu einem Dachgarten führte, sah man auf den blinkenden Eiffelturm. Ich stellte mir vor, daß die düstere Wohnung ihres Bruders auf sie wie die Vorhalle zu einer Gruft gewirkt haben mußte. Trotz der Dunkelheit draußen wirkten die Räume unter der künstlichen Beleuchtung lichtdurchflutet. Das Mobiliar war spärlich, der Übergang zur nächtlichen Terrasse von Blattgrün umsäumt. Es war auffallend, daß keine Bilder an den Wänden hingen. Offenbar hatte sie nichts von der Sammlung ihres Vaters beansprucht.
    »Als ich Sie anrufen wollte, stellte ich fest, daß ich gar keine Telephonnummer hatte.«
    Wir setzten uns auf die Terrasse. Auch jetzt war ihr nicht anzumerken, ob sie vom Tod ihres Bruders wußte.
    »Immerhin hatte ich Ihren Namen, auch wenn ich ihn zunächst nicht einzuordnen wußte.«
    »Dann hat David Ihnen erzählt, wie sein Vater hieß, bevor er sich den neuen Namen samt Firma kaufte? Ich habe das ›t‹ aus meinem Namen getilgt. Himmel, Sie müssen denken, wir hätten ein Faible für Geheimniskrämerei. Dabei habe ich das nur gemacht, weil die Franzosen nichts mit »tz« anfangen können. Und wenn ich ehrlich bin, paßt diese Version auch viel besser zu meinem Vornamen – und zu mir.«
    »Ach, den haben Sie nicht verändert?«
    »Warum sollte ich? Mit den Eitelkeiten meines Bruders habe ich nichts zu tun. Wir haben beide französische Vornamen gehabt, weil unsere französische Mutter es so wollte.«
    »Ich dachte, Ihre Mutter sei Belgierin gewesen!«
    »Aber nein. Wer hat Ihnen das denn erzählt? David etwa?«
    »Ich dachte, ich hätte es irgendwo gelesen.«
    »Gelesen? Sie wollen etwas über meine Mutter gelesen haben?«
    Ich antwortete darauf nicht. Ich sah mich ein wenig zu neugierig um, erwischte mich aber gerade noch rechtzeitig bei dieser Unhöflichkeit und versuchte, sie durch eine blöde Bemerkung zu vertuschen.
    »Sie scheinen, im Gegensatz zu Ihrer Familie, kein Faible für Kunst zu haben.«
    »Im Gegensatz zu meiner Familie?« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich bin mir nicht ganz sicher,

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