Perlentod
bestandener Mutprobe, auf eine Aufnahme in die Clique verzichten würde. Hinter dem Spritzenhaus blieb Miriam stehen und Rita bückte sich, um das hohe Gras zu bändigen. Als Senta näher trat, entdeckte sie einen schmalen Schacht, der weit mehr als zwei Meter in die Tiefe führte. Darüber lag ein rostiges Gitter. Eine leichte Handbewegung von Miriam genügte und ihre Hofdamen machten sich mit vereinten Kräften und unter Ächzen und Stöhnen daran, das Gitter wegzuziehen. Sobald der Schacht frei lag, erkannte Senta im Licht der tief stehenden Sonne, dass sich dort unten hauptsächlich altes Laub und Schmutz von Jahrhunderten angesammelt hatten. Nichts, was sie hätte abschrecken können. An den rissigen Betonwänden an der Seite dagegen hingen ganze Spinnenweblappen, in denen sich, bei genauem Hinsehen, durchaus auch Leben regte.
»Was ist das für ein Schacht?«, fragte Senta und bemühte sich, möglichst lässig zu klingen. Bei dem Gedanken, mitten durch Spinnenweben, Kellerasseln, Tausendfüßler und wer weiß was für andere Tierchen zu klettern, bekam sie Herzklopfen. Trotz ihrer Bemühungen schien Miriam ihren angewiderten Blick bemerkt zu haben.
»Man könnte sagen, dass dieser Schacht ein Insektenhotel ist«, lachte sie hämisch. »Willst du von der Mutprobe lieber wieder zurücktreten? Du musst dich jetzt entscheiden. Denn wenn der Schlüssel einmal da unten liegt, gibt es kein Zurück. Dann zwingen wir dich notfalls dazu!«
Zwingen? Ein Blick in Miriams kalte Augen genügte Senta, um zu begreifen, dass sie die Drohung ernst meinte. Sie spürte wie die Angst in ihr hochkroch. Noch konnte sie zurück. Aber die Freude würde sie den vieren nicht machen.
Entschlossen schluckte Senta den Kloß in ihrem Hals herunter und sagte mit fester Stimme: »Nur, weil ich aus der Großstadt komme, heißt das nicht, dass ich wegen paar kleiner Spinnen gleich einen Herzinfarkt bekomme.« Etwas an Miriams Verhalten forderte ihren Stolz heraus. »Wirf ihn endlich rein, deinen blöden Schlüssel. In spätestens fünf Minuten hast du ihn wieder.« Herausfordernd blickte sie in die Runde.
»Na dann!« Miriam öffnete ihre Hand und im nächsten Augenblick landete der Schlüsselbund mit einem platschenden Geräusch im Schmodder.
Ohne zu zögern, machte sich Senta an den Abstieg. Im Stillen dankte sie sich selbst für ihre heutige Klamottenwahl. Das grüne Kapuzenshirt schützte wenigsten ihren Kopf vor Tieren und Dreck. »Ist das deine Tarnkappe?«, kicherte Kim und die anderen stimmten ein. Obwohl es in ihr innerlich brodelte, ließ Senta sich nicht aus der Ruhe bringen. Gerade hatte sie in eines der klebrigen Spinnennetze gegriffen und fragte sich, ob es nicht ein großer Fehler gewesen war, sich auf diese Aktion einzulassen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie war sich sicher, dass Miriam und die Hofdamen sie nicht eher aus ihren Klauen ließen, bevor sie den Schlüsselbund wieder zutage gefördert hatte.
Senta tastete den Rand des Schachts ab. So in ihrem Element, gewann sie sofort an Sicherheit. Voller Konzentration prüfte sie die Festigkeit des Materials. Der alte Beton schien nicht brüchig zu sein. Und das war gut so. Denn ihr Plan war, sich langsam herunterzuangeln und die letzten Meter einfach fallen zu lassen.
Nur Momente später hing sie der Länge nach im Schacht und versuchte, nach unten zu blicken. Der Boden schimmerte matschig. Keine Chance zu sehen, wie tief es noch nach unten ging. Was, wenn der Matsch metertief ist und ich darin wie in einem Sumpf versinke, schoss es ihr durch den Kopf. Auch wenn ihre Hände langsam zu brennen anfingen, verharrte sie erst einmal in ihrer Position. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Plötzlich spürte sie auf den Fingern ihrer rechten Hand eine Sohle. Erschrocken hob sie den Blick und sah, wie Miriam ihr amüsiert zuzwinkerte. Sie stand genau über dem Schacht und hatte den Fuß leicht auf Sentas Hand abgestellt.
»Muss ich etwa nachhelfen?«, rief sie und erhöhte den Druck. Senta reagierte blitzschnell. Sie presste die Füße an die Mauer und stützte sich nun mit dem oberen Rücken an der gegenüberliegenden Schachtwand ab. Als sie genug Halt hatte, zog sie ihre rechte Hand unter Miriams Fuß weg. Ehe sich Miriam versah, umklammerte Senta mit der nun freien Hand Miriams Fessel. »Du kannst gerne mit nach unten kommen!«, schrie sie und nahm zufrieden zur Kenntnis, wie Miriam für einen Moment die Fassung verlor, als ein spitzer Schrei ihren Erdbeermund
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