Perlentod
ordnen, und das fiel ihr bei einem Spaziergang mit Musik auf den Ohren immer leichter, als wenn sie daheim herumhockte und grübelte. Natürlich kreisten ihre Gedanken um Miriam und die Hofdamen. Und um die unsägliche Mutprobe. In der Schule hatte die Clique Senta wie Luft behandelt und sie hatte bereits gehofft, dass sich die Sache für Miriam erledigt hatte. Aber dann hatten sie ihr diese SMS geschickt. Eine Anordnung: In der Nacht, genau um null Uhr, sollte sie den zweiten Teil der Mutprobe durchführen. Was denkt die sich eigentlich, empörte sich Senta. Von der lasse ich mich doch nicht herumkommandieren.
Angetrieben von der Wut auf Miriam ging sie mit schnellen Schritten weiter und stand nach ein paar Minuten plötzlich vor dem alten Hof, in dem man Zuckerwattes Leiche gefunden hatte. Augenblicklich kroch ihr eine leichte Gänsehaut über die nackten Arme hinauf bis in den Nacken. Rund um den alten Hof waren rot-weiße Bänder gespannt, die davon zeugten, dass hier ein Verbrechen geschehen war. Hinter irgendeinem dieser Kellerfenster musste sich der Raum befinden, in dem über ein Jahr lang die Leiche der Lehrerin gelegen hatte.
Gott, wie furchtbar! Der Gedanke an den Leichenfund ließ Sentas Herz schneller schlagen. Rechter Hand des Haupthauses, etwas abseits, thronte die große, halb verfallene Scheune, zu deren Eingangstor eine aufgeschüttete mit Gras bewachsene Rampe hinaufführte. Im großen Tor befand sich noch eine kleine Tür. Irgendetwas gab Senta das Gefühl, dass es vermutlich diese Tür war, auf die einer der Schlüssel am Bund passte. Vorausgesetzt, es stimmt überhaupt. Am Ende hat Miriam mich nur verarscht und der rostige Schlüsselbund, den sie in den Schacht geworfen hat, gehört zu irgendeinem Gartenhäuschen.
Ich würde nur zu gerne wissen, ob Miriam die Wahrheit gesagt hat. Reflexartig griff Senta nach dem Bund, der immer noch in ihrer Jackentasche steckte. Sie zog die Schlüssel heraus und betrachtete sie genauer. Insgesamt baumelten drei rostige Schlüssel am Ring. Welcher wohl zu der Tür gehörte? Von der Größe kam nur einer infrage. Die anderen schienen höchstens geeignet, um einen Briefkasten oder ein Fahrradschloss zu öffnen.
Aufmerksam schaute Senta sich um. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Vorsichtig machte sie einen ersten Schritt in Richtung der Scheunenrampe. Prompt beschleunigte sich ihr Puls. Die Erkenntnis, dass hier ein echter Mord geschehen war, traf sie mit solcher Wucht, dass sie diesen gruseligen Ort am liebsten sofort hinter sich gelassen hätte. Doch irgendetwas an der Scheunentür zog sie magisch an. Mit klopfendem Herzen schritt sie weiter auf das große Tor zu. Erst als sie vor der schmalen Tür stand, sah sie, dass die Klinke ganz schief herunterhing. War die Tür am Ende gar nicht abgeschlossen?
Senta versuchte, das rostige Eisen noch ein Stückchen weiter nach unten zu drücken. Es ging nicht. Aber als sie der Tür einen leichten Stoß versetzte, sprang sie mit einem lauten Quietschen auf. Senta zuckte zusammen und sah sich erschrocken um. Doch es war niemand in der Nähe, den das laute Geräusch auf sie hätte aufmerksam machen können. Neugierig warf sie einen Blick in das Innere der Scheune. Ihr stockte der Atem. Direkt hinter der Tür stand jemand!
7
Senta starrte in das faltige Gesicht der Okkulta. Vor Schreck vergaß sie zu atmen. Die tief liegenden Augen der alten Frau glühten wie Grillkohlen und ein scharfer Geruch drang in ihre Nase.
»Weg da«, blaffte die Alte sie an und griff mit ihren knorrigen Händen nach der Tür. Senta konnte gerade noch zur Seite springen, bevor ihr die Okkulta die Tür vor der Nase zuwarf. Ihr Herz raste, als sie die Rampe hinunterlief. Was, um alles in der Welt, suchte die Okkulta an diesem Ort? In diesem Dorf gingen wirklich seltsame Dinge vor sich! Ohne der Scheune noch weitere Beachtung zu schenken, machte Senta, dass sie davonkam.
Eilig rannte sie, Meter für Meter, bis sie das Klaffel-Gehöft erreicht hatte. Erst da blieb sie eine Weile stehen, um durchzuschnaufen. Jetzt ärgerte sie sich, dass ihr diese verrückte alte Schachtel schon zum zweiten Mal einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Senta nahm sich vor, die Alte bei der nächsten Begegnung einfach zu ignorieren. In Gedanken versunken steckte sie sich wieder die Stöpsel in die Ohren.
Während ihr Katy Perry »I’m still breathing« ins Ohr hauchte, schaute sie den Schweinen auf der Wiese zu. Klaffel war der einzige Bauer im Dorf,
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