Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Sand lehnte sich zurück und zündete eine Zigarette an. Ihr zorniger Blick hatte einen selbstzufriedenen Glanz. Perlmann mochte ihn nicht, diesen Glanz. Plötzlich vermißte er Agnes.
Millar bedachte Silvestri mit einem verächtlichen Blick.«Das finde ich zu einfach», sagte er dann, zu Ruge gewandt.«Billig – wenn der Ausdruck erlaubt ist.»
«Oh, erlaubt ist er schon», gab Ruge zurück.«Aber falsch ist er, fürchte ich. Denn jenen Widerspruch auszuhalten, so wie ich das meine: Das ist, ganz im Gegenteil, etwas vom Schwierigsten. Oder Teuersten», fügte er grinsend hinzu.
Millar trommelte mit den Fingern auf die Tischdecke.«Ich glaube nicht, Achim... oh, well, forget it.»
Beim Nachtisch und Kaffee sagte er nichts mehr. Hin und wieder biß er sich auf die Lippen. Perlmann war plötzlich gar nicht mehr sicher, ob dieser Brian Millar wirklich ein so harter Gegner war, wie er bisher angenommen hatte.
Bevor er ins Bett ging, bereitete Perlmann den Schreibtisch für den nächsten Tag vor. Er rückte die Lampe zur Seite und legte auf der Glasplatte einen Stapel leerer Blätter zurecht, daneben die Schreibsachen. Er ging die Bücher im Handkoffer durch und nahm schließlich drei Bände mit hinüber zum Schreibtisch. Dann nahm er eine halbe Tablette. Um morgen früh sofort losschreiben zu können, mußte er gut schlafen. Als die ersten, vertrauten Anzeichen der Betäubung einsetzten, begann er, sich die Gliederung des Texts zurechtzulegen. Vier Zwischenüberschriften, unterstrichen und mit einer Ziffer davor. Die vier Zeilen waren genau gleich lang. Es sah sehr ordentlich aus. Es würde gut werden.
21
Als Kirsten, von Giovanni angekündigt, am nächsten Morgen um sechs vor seiner Tür stand, mußte Perlmann sich beherrschen, um ihr nicht um den Hals zu fallen.
«Hallo, Papa», sagte sie mit einem Lächeln, in dem sich Verlegenheit und Spott mischten und in dem darüber hinaus ein Selbstbewußtsein lag, wie er es an seiner Tochter noch niemals zuvor wahrgenommen hatte.«Du hast vorgestern am Telefon so seltsam geklungen, da dachte ich, ich sollte besser mal nach dem Rechten sehen. »
Sie trug einen langen, schwarzen Mantel und helle Turnschuhe, und ihr widerspenstiges Haar wurde von einem zitronengelben Band zusammengehalten. Neben ihr auf dem Boden stand die Reisetasche aus rotem, abgegriffenem Leder, die Agnes auf allen Reisen mitgeschleppt hatte wie einen Talisman.
«Komm, setz dich», sagte er und verfluchte seinen schweren Kopf und die pelzige Zunge.«Wie bist du überhaupt hergekommen?»
Fünfzehn Stunden war sie von Konstanz bis hierher unterwegs gewesen, alles per Anhalter. Sechsmal hatte sie an der Straße gestanden, und einmal, an einer Tankstelle am Mailänder Ring, weit nach Mitternacht, hatte es über eine Stunde gedauert, bis jemand sie mitnahm. Perlmann schauderte, sagte aber kein Wort. Am besten war es am Anfang gegangen, in der Schweiz. Da hatte ein Mann sie sogar zum Essen eingeladen, bevor sie dann die Leventina-Schlucht hinunterfuhren.«Ein ganz biederer Schweizer mit Hosenträgern!»lachte sie, als sie seinen Blick sah.
Nein, Angst hatte sie eigentlich keine gehabt. Na ja, vielleicht ein bißchen, als der Typ, mit dem sie von Mailand nach Genua fuhr, immer wieder von ihrem Aussehen anfing. Da hatte sie sich geärgert, daß sie nicht genug Italienisch konnte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Aber er hatte sie dann nach hinten gelassen, wo sie etwas schlafen konnte. Und als er beim Abschied auf einem Küßchen bestand – na ja, außer daß es ziemlich kratzte und sie seinen Geruch nicht mochte, war es ganz lustig gewesen. Den Rest der Strecke war sie mit einer aufgedonnerten Frau in einem Mercedes-Coupé gefahren, die pausenlos von ihrem Streit mit einem Mann redete und ihr, Kirsten, weiter keine Beachtung schenkte. Hier, in der schlafenden Stadt, hatte es dann noch eine ganze Weile gedauert, bis sie jemanden fand, der ihr den Weg zum Hotel wies.
«Aber jetzt bin ich hier und finde es super, daß ich es gemacht habe! Weißt du, Martin war ganz schön sauer, als ich dann plötzlich doch loszog. Er hatte es mir nämlich schon ausgeredet gehabt. Doch dann, als ich aus der Mensa kam, traf ich Lasker, und als der extra stehenblieb und mir sagte, wie scharfsinnig er mein Referat gefunden habe, war ich so high, daß ich unbedingt etwas Verrücktes tun mußte. Meinst du, ich könnte Martin eben mal schnell anrufen und ihm sagen, daß ich heil angekommen bin?»
Perlmann zeigte ihr, wie
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