Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Meer geworfen, die vollen Schachteln hinterher, und sie hatten über die pathetische Geste gelacht. Ein gemeinsamer Sieg, ein glücklicher Tag.
Plötzlich stand der Terrassenkellner neben ihm und hielt ihm ein brennendes Streichholz hin. Ein Gefühl der Wehrlosigkeit ergriff Besitz von ihm. Die Dinge entglitten ihm. Er tat seinen ersten Zug seit fünf Jahren und bekam sofort einen Hustenanfall. Der Kellner warf ihm einen überraschten und besorgten Blick zu und entfernte sich. Der zweite Zug war schon leichter, es kratzte noch, aber es war bereits ein vollständiger Zug. Jetzt rauchte er in langsamen, tiefen Zügen, mit halbgeschlossenen Augen. Das Nikotin begann, durch den Körper zu strömen. Er verspürte einen sanften Schwindel, gleichzeitig fühlte er sich leicht und ein bißchen euphorisch. Freilich war es eine Euphorie, die mit dem Eindruck des Künstlichen einherging, dem Gefühl, daß dieser Zustand in ihm entstand, ohne ihm eigentlich anzugehören, ohne wirklich sein eigener zu sein. Und dann auf einmal fiel alles in sich zusammen, und ihm wurde jämmerlich schlecht.
Hastig drückte er die Zigarette aus und ging mit unsicheren Schritten hinüber zum Schwimmbecken, wo er sich auf einem Liegestuhl ausstreckte und die Augen schloß. Er fühlte sich erledigt, noch bevor irgend etwas begonnen hatte. Nach einer Weile wurde er ruhiger, er war erleichtert, daß nichts mehr pulsierte und sich drehte, und allmählich glitt er in einen Halbschlaf. Er erwachte erst, als über ihm eine sehr helle Stimme mit spanischem Akzent auf englisch sagte:«Entschuldigen Sie die Störung, aber der Kellner sagte mir, Sie seien Philipp Perlmann. »
2
Sie hatte ein strahlendes Lachen, wie er es noch niemals gesehen hatte, ein Lachen, in dem die ganze Person aufging und das jeden Widerstand brechen würde. Er richtete sich auf und blickte in ein ovales Gesicht mit hochstehenden Backenknochen, weit auseinanderliegenden Augen und einer breiten Nase, fast ein orientalisches Gesicht. Das blonde Haar fiel gerade herunter auf ein weißes, schief sitzendes T-Shirt, es war unfrisiertes, lebendiges Haar, ein bißchen wie Stroh.
Perlmann hatte einen trockenen Mund und fühlte sich noch etwas wacklig, als er sich erhob und ihr die Hand gab.
«Sie müssen Evelyn Mistral sein», sagte er,«es tut mir leid, ich muß einen Moment eingenickt sein. »Als erstes eine Entschuldigung.
«Aber das macht doch nichts», lachte sie,«hier ist es ja wirklich wie im Urlaub.»Sie zeigte auf die hohe Fassade des Hotels mit den gemalten Giebeln über den Fenstern, den türkisfarbenen Fensterläden und den Wappen in den Farben verschiedener Nationen.«Das ist alles so schrecklich mondän, hoffentlich lassen sie mich mit meinem Koffer überhaupt rein!»
Es war ein uralter, zerkratzter Koffer aus schwarzem Leder, mit hellbraunen Kanten, die an einigen Stellen eingerissen waren, und mitten auf den Deckel hatte sie einen grellroten Elefanten geklebt. Einen solchen Koffer könnte auch Kirsten mit sich herumschleppen, das würde zu ihr passen. Überhaupt erinnert sie mich irgendwie an meine Tochter, obwohl sich die beiden gar nicht ähnlich sehen.
Sie war im Zug erste Klasse gefahren und war auf jungmädchenhafte Art beeindruckt. Man komme sich so wichtig vor, meinte sie, so gut sei sie von einem Schaffner noch nie behandelt worden. Daraufhin hatte sie sich im Speisewagen ein üppiges Mittagessen geleistet. Im Lokalzug von Genua nach Santa Margherita hatte es keine Erstklaßwagen gegeben, und es war ihr ganz komisch vorgekommen, plötzlich wieder in einem schäbigen Zweite-Klasse-Abteil zu sitzen. Wie schnell man doch korrumpiert werde!
Perlmann nahm den Koffer und begleitete sie zum Empfang. Sie ging leicht in ihrem verwaschenen Khaki-Rock, fast tänzelte sie ein wenig in den flachen, hellroten Lackschuhen, und doch hatte ihr Gang auch etwas Zögerndes, Linkisches. Sie wurde von Signora Morelli begrüßt, die, wie gestern auch, ein dunkelblaues, sportlich geschnittenes Kleid und dazu ein weinrotes Halstuch trug, was ihr das Aussehen einer Chefstewardeß gab, ein Eindruck, der dadurch verstärkt wurde, daß sie ihr Haar zu einer strengen Frisur aufgesteckt hatte. Evelyn Mistral redete italienisch, wobei sie die Vokale wie im Spanischen kurz und herb aussprach, in scharfem Kontrast zu Signora Morellis gedehntem Singsang. Während sie sich, an die Theke gelehnt, einschrieb, spielten ihre Füße mit den roten Schuhen. Einmal lachte sie laut auf, und da hatte
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