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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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das ist mehr ein Scherz, den sich jemand erlaubt hat.»Eben lag das Wörterbuch mit der Rückseite zu ihr. Die dunklen Spuren vom vielen Blättern hat sie nicht sehen können.
    Was er sonst noch für Fremdsprachen könne, fragte sie, als sie nachher eine seiner Zigaretten paffte.
    «Ein bißchen kann ich auch Ihre Sprache», sagte er auf spanisch.
    «Aber dann darfst du nicht Sie zu mir sagen», lachte sie.«Usted, das ist viel zu förmlich. Unter Kollegen sagt man das nicht. Und überhaupt sagt man im Spanien nach Franco eher du. »
    Danach blieben sie bei Spanisch. Perlmann gefiel ihre spanische Stimme, vor allem die Kehllaute und die Art, wie sie aus dem d am Ende eines Worts einen stimmlosen Laut machte, ähnlich dem englischen th. Es war lange her, daß er Spanisch gesprochen hatte, und er machte viele Fehler. Aber er war froh über diese Sprache. Mit Englisch gelangen ihm schon seit langem keine neuen Erfahrungen mehr, keine Erfahrungen befreiender Fremdheit. Englisch bot ihm nicht mehr die Möglichkeit, sich in einer fremden Sprache umzudichten.
    Sie konnte wenig damit anfangen, als er über dieses Thema sprach. Ihr Verhältnis zu Fremdsprachen war nüchterner, praktischer. Gut, sie hatte auch Spaß daran; aber als er von der Möglichkeit sprach, in einer fremden Sprache ein anderer zu werden, obwohl man doch im wesentlichen dasselbe sagte wie in der eigenen, da war sie nur noch eine höfliche Zuhörerin, und Perlmann kam sich vor wie ein Mystiker. Und als er laut überlegte, ob das spanische tú intimer sei als das englische you in Verbindung mit dem Vornamen, oder dasselbe, und wie sich beide, was Intimität betraf, zum deutschen Du verhielten, sah sie ihn zwar neugierig an, aber das Lächeln, das ihren Blick begleitete, ließ erkennen, daß das für sie eher ein Spiel war als eine ernsthafte Frage. Sein Monolog kam ihm plötzlich albern vor, auch kitschig, und er brach ihn abrupt ab, um sie nach ihrer Arbeit zu fragen.
    Was jemand sich vorstellen könne, sei nicht unabhängig davon, was er sagen könne, und so sei es auch mit dem, was jemand wollen könne, sagte sie. Immer mehr konzentriere sie sich in ihrer Arbeit mit Kindern auf diesen Zusammenhang zwischen Phantasie, Willen und Sprache; darauf, wie das innere Spiel mit Möglichkeiten in dem Maße raffinierter und einflußreicher werde, als sich die sprachliche Ausdrucksfähigkeit entwickle; und darauf, wie diese Verfeinerung der Phantasie durch Sprache zu einer immer reicheren Ausgestaltung des Willens führe.
    Sie umfaßte, während sie sprach, ihre angezogenen Knie mit beiden Händen. Nur manchmal, wenn ihr eine nasse Strähne ins Gesicht rutschte, löste sie die verschränkten Finger. Ihr Gesicht war sehr ernst und konzentriert, während sie nach den passenden Worten, den genauen Sätzen suchte. Auch jetzt gefiel Perlmann dieses Gesicht. Aber je mehr sie in Fahrt geriet, desto weiter weg rückte es. Und als sie dann von den Kapiteln eines Buches sprach, die sie hier zur Diskussion stellen wolle, kam es ihm sehr weit entfernt und fremd vor. Er dachte an sein schäbiges Heft aus schwarzem Wachstuch, das er schon so lange nicht mehr aufgeschlagen hatte, und es gelang ihm nur mit Mühe, das Bild von karierten Seiten abzuschütteln, die bis zur Unleserlichkeit vergilbt waren. Er fürchtete sich vor dem Moment, da sie die Gegenfrage nach seiner eigenen Arbeit stellen würde, und fragte deshalb immer weiter, beklommen ob der Verlogenheit seines Eifers und doch jedesmal froh, wenn sie auf eine weitere Frage hin erneut ausholte.
    Als Adrian von Levetzovs Name fiel, fuhr Perlmann zusammen.«Den hatte ich ganz vergessen», murmelte er tonlos, und an Evelyn Mistrals Blick konnte er ablesen, daß sein Gesicht eine Angst verriet, die er um jeden Preis hatte verbergen wollen. Hastig erhob er sich aus dem Liegestuhl, knickte dabei mit dem Fußgelenk ein und begann, humpelnd zum Eingang zu laufen. Als er am Kellner vorbeikam, der einen Tisch abräumte, zwang er sich zu ruhigeren Schritten, unsicher, ob es wegen des Stechens am Knöchel war oder ob es dem Wunsch entsprang, gegen die Angst und Beflissenheit anzukämpfen.
     
    Von Levetzov stand an der Empfangstheke und redete in schauderhaftem Touristenitalienisch auf Signora Morelli ein, die ihm mit unbewegtem Gesicht in makellosem Englisch antwortete.
    «Wenn die Sonne Sie stört, Sir», sagte sie gerade mit einer Kühle, um die Perlmann sie beneidete,«brauchen Sie nur die Gardinen vorzuziehen. Die Lage des Hotels

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