Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
aufs Bettgestell und schnürte den Turnschuh neu. Es war nicht zu erkennen, ob sie ihm glaubte.
Silvestri erschien erst fünf vor neun im Speisesaal und trank nur Kaffee. Obwohl er ihr gegenübersaß, versuchte Kirsten ihn zu übersehen, indem sie Ruge plötzlich mit Fragen nach seinem Labor in Bochum bombardierte. Als Silvestri dann zu seinen Zigaretten griff, suchte er Kirstens Blick, um ihr eine anzubieten. Schließlich steckte er selbst eine an, warf Perlmann einen Blick zu und ließ die Packung schwungvoll über den ganzen Tisch gleiten, so daß sie gegen Kirstens Untertasse stieß und den Kaffee zum Überschwappen brachte. Kirsten zuckte zurück, hob einen Moment vorwurfsvoll die tropfende Tasse und griff dann nach der Packung. Erst jetzt begegnete sie Silvestris Blick. Eine Sekunde lang befürchtete Perlmann, sie würde die Pakkung einfach zurückschieben. Doch dann fischte sie ganz langsam eine Zigarette heraus, steckte sie zwischen die Lippen und streckte, den Blick ganz woandershin gerichtet, den Arm mit einer derart blasierten Geste in Silvestris Richtung, als habe sie das auf einer Schauspielschule gelernt. Der Italiener ließ grinsend sein Feuerzeug aus übertriebener Höhe in ihre offene Hand fallen. Es gab ein leises metallisches Geräusch, als es sich an den vielen Ringen rieb. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, hielt Kirsten ihre Zigarette in die Flamme, ließ das Feuerzeug zuschnappen und legte es mitten auf den Tisch.«Ecco!»lachte Silvestri und griff danach. Da wandte Kirsten ihm den Blick zu und streckte die Zunge heraus.
Perlmann fing einen Blick von Evelyn Mistral auf. Ihr orientalisches Gesicht mit den grünen, bernsteindurchsetzten Augen schien ihm aus weiter Ferne zu kommen, und er wußte nicht, ob er froh darüber war oder unglücklich.
Laura Sands dritte Sitzung verlief schleppender als die beiden ersten. Leben kam erst bei den Filmbildern hinein, welche die Frage entstehen ließen, ob die Tiere die Bedeutung gewisser Zeichen nur in dem Sinne verstünden, daß sie darauf passend reagierten, oder ob es zu ihrem Verstehen gehöre, daß sie – in welchem vereinfachten, blassen Sinne auch immer – ihren Partnern die Absicht zuschrieben, ihnen etwas zu verstehen zu geben. Hatten die Tiere so etwas wie eine Theorie über das geistige Leben ihrer Artgenossen?
«Aber das ist doch sonnenklar! »platzte Kirsten heraus.«Natürlich haben sie das! Das sieht man doch einfach an ihren Blicken! »
«Tatsache ist», fiel ihr Millar ins Wort,«daß man daran gar nichts sehen kann und daß die Annahme ziemlich abenteuerlich ist. Um es milde auszudrücken. »Er sagte es in seinem gewohnt selbstsicheren, professionellen Ton, und nur ein Schatten von Gereiztheit verriet, daß es da eine Diskussion über Faulkner gegeben hatte.
Perlmann dachte an die lustigen Dinge, die Evelyn Mistral neulich über die beredten Blicke der Tiere gesagt hatte, und erwartete, daß sie Kirsten zu Hilfe kommen würde. Aber sie sagte kein Wort, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und nickte sogar, als Millar und Ruge einen Vorschlag zur Güte ins Lächerliche zogen, den von Levetzov in Perlmanns Augen nur deshalb gemacht hatte, weil er nett zu Kirsten sein wollte.
Wie alle anderen wartete auch Laura Sand darauf, daß Silvestri sich einschalten würde, der, wie man wußte, Kirstens spontane Meinung teilte. Aber der Italiener setzte dieser geballten Erwartung ein Pokergesicht entgegen und klaubte mehr Tabakkrümel von der Zunge, als sich wirklich dort befanden. Schließlich gab Laura Sand mit einem Zucken der Mundwinkel zu erkennen, daß sie seine Weigerung begriffen hatte, und nun entwickelte sie ihre eigene These, die gar nicht so weit von Kirstens Gefühl entfernt war. Anfänglich hörte ihr Kirsten gespannt zu; doch als es dann technisch wurde, lehnte sie sich unauffällig zurück und sah verstohlen auf die Uhr.
«Ein bißchen verblüfft bin ich schon», sagte sie nachher in der Halle zu Perlmann, und es klang eher eingeschüchtert als verblüfft,«wie hart da diskutiert wird. Da ist es in einem Seminar bei uns doch sehr viel... lockerer, freundlicher. Fandest du es unmöglich, wie ich mit meiner Meinung herausgeplatzt bin?»
Perlmann antwortete nicht, denn jetzt trat Maria auf sie zu und reichte ihm einen Ausdruck von Leskovs Text, darunter die Blätter seiner handschriftlichen Übersetzung.
«Eccolo», sagte sie,«es hat bis jetzt gedauert, weil Signor Millar dann doch noch einiges zu schreiben
Weitere Kostenlose Bücher