Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
einen Text von ihm wartete.
Auch von der Zeit, die Silvestri in Oakland verbracht hatte, wußte sie.
«A propos Amerika», sagte sie,«das mit Princeton, das finde ich ja ganz toll! Meinst du, ich könnte dich dort besuchen?»Mit einem sonderbaren Zögern, als könne sie sich nur mühsam an ihn erinnern, fügte sie nach einer Pause hinzu:«Mit Martin. Er würde wahnsinnig gern mal New York sehen!»
Die Leute, die sie in Rapallo fragten, wußten nicht, ob es die historischen Gebäude noch gab. Beim Essen erfuhr Perlmann von dem Vertrag zwischen Italien und Jugoslawien, der Fiume vorübergehend zu einem selbständigen Staat gemacht hatte. Er staunte, wieviel seine Tochter wußte und wie wißbegierig sie überhaupt war. Genau das war ich im Grunde nie: wißbegierig.
Innerhalb weniger Minuten hatte sich der Himmel überzogen. In dem trüben, flachen Licht, das jetzt durch die Fenster der Pizzeria fiel, erlosch Kirstens Eifer plötzlich, und sie sahen sich scheu an.
«Nehme ich dir auch nicht zuviel Zeit weg?»fragte sie.«Du bist Donnerstag dran, nicht wahr?»
Es fiel Perlmann schwer, sich einzugestehen, daß er wütend über ihren Ton war, in dem zum Ausdruck kam, daß sie nun jede Leistung, die einer zu erbringen hatte, im Lichte ihrer Erfahrung mit dem ersten Referat sah. Er nickte kurz und drängte zum Aufbruch.
Während der Rückfahrt standen sie stumm an der Reling und blickten auf die Schaumkronen der Wellen, die sich unter einem kalten Wind bildeten. Ob sie das, was er hier vortragen werde, lesen könne, fragte Kirsten einmal. Perlmann war froh, daß ihm ein Windstoß eine Atempause verschaffte. Den Text habe zur Zeit Maria, sagte er dann und erklärte ihr, wer Maria war. Einige bange Minuten lang wartete er auf die Frage nach dem Thema; doch sie kam nicht. Statt dessen sagte Kirsten, ohne ihn anzusehen:
«Brian Millar: Den magst du nicht. Oder?»
«Eh... es geht. Er ist mir etwas zu... selbstsicher.»
«Cocksure», sagte sie und sah ihn lächelnd an. «I can see that.»
Beim Verlassen des Schiffs blieb sie plötzlich stehen.«Ist es deshalb, daß du nicht spielen willst? Du hast doch nicht etwa Angst vor ihm, oder? Ich fand, er ist gestern abend bei Faulkner ziemlich flach rausgekommen.»»
Perlmann schob mit dem Fuß eine leere Coladose von der Kaimauer.«Es gehört einfach nicht hierher, finde ich. Das ist alles. »
Er mußte jetzt allein sein und schlug ein rasches Tempo an. Aber als das Hotel in Sicht kam, blieb Kirsten noch einmal stehen.
«Und die Sache mit Mama und Chagall willst du mir nicht erklären? Entschuldige, ich geh’ dir auf die Nerven. Aber du bist so... gedrückt. »
«Komm», sagte er,«es fängt gleich an zu regnen.»
In der Halle kam ihnen Silvestri entgegen, den Kragen des Regenmantels hochgeschlagen und eine Zigarette im Mundwinkel. Er wolle ins Kino, sagte er mit dem schuldbewußten Grinsen eines Schülers, der sich um die Hausaufgaben drückt. Ob sie mitgehen dürfe, fragte Kirsten und wurde rot, als ihr das Überstürzte ihrer Frage bewußt wurde. Wieder einmal fand Perlmann es unglaublich, wie schnell dieser Italiener zu reagieren vermochte. Daß er lieber allein gegangen wäre, konnte man nur daran erkennen, daß seine Galanterie eine Spur zu munter klang.
«Volentieri; volentierissimo, Signorina», sagte er und bot ihr seinen Arm.
Perlmann mußte Licht machen, als er sich an den Schreibtisch setzte. Erst jetzt, als er die verrutschten Stifte und das zerknüllte Papier im Papierkorb sah, erinnerte er sich, daß er in der Nacht aufgestanden war und zu arbeiten versucht hatte. Es war keine sehr deutliche Erinnerung, und es haftete ihr etwas sehr Fernes und Fremdes an – so, als sei gar nicht er es gewesen. Er griff nach dem zerknüllten Papier, nur um es nach kurzem Zögern wieder fallen zu lassen. Dann begann er Stichworte zu notieren. Wenn Kirsten am Montag abend in Genua abfuhr, konnte er sich mit einem Taxi schnell hierherfahren lassen und gleich mit dem Schreiben beginnen. Dann waren es immer noch drei Tage, bis er Maria endgültig einen Text geben mußte.
Aus den Stichworten, die teils nebeneinander, teils untereinander standen, wurden keine Sätze, und an der zunehmenden Nachlässigkeit der Schrift wurde immer deutlicher der mangelnde Glaube sichtbar. Perlmann ließ ein Bad einlaufen und setzte sich in die Wanne, lange bevor sie voll war. Das Schlimmste war, daß er sich wünschte, es wäre schon Montag abend. Dabei überlegte er dauernd, wann die
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