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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Kinovorstellung vorbei sein und Kirsten an die Tür klopfen mochte. Er gab immer noch mehr heißes Wasser dazu, bis es nicht mehr zum Aushalten war. Dann legte er sich im Bademantel aufs Bett, und als das Brennen der Haut allmählich nachließ, döste er ein.
    Irgend etwas war schiefgegangen mit ihr und Silvestri. Perlmann sah es auf einen Blick, als er Kirsten die Tür öffnete. Es war etwas Trotziges in ihrem Gesicht, ein Ausdruck wie damals, als sie beim Schülerwettbewerb ihrem Intimfeind aus derselben Klasse unterlegen war. Sie trat auf ihn zu und legte ihm die Arme um den Hals. Das hatte sie seit Jahren nicht mehr getan, und Perlmann, der nicht mehr wußte, wie man eine Tochter umarmte, hielt sie wie einen kostbaren, zerbrechlichen Gegenstand. Als sie sich löste, fuhr er ihr übers Haar, das nach Restaurant roch. Sie setzte sich in den roten Sessel und griff in der Jacke nach den Zigaretten. Wütend blickte sie auf die Packung Gauloises, die sie erwischt hatte, und warf sie Richtung Papierkorb, den sie knapp verfehlte. Perlmann las die herausgerutschten Zigaretten auf. Als er aufsah, hielt Kirsten eine ihrer eigenen Zigaretten in die Flamme des roten Feuerzeugs. Ihre dunklen Augen glitzerten.
    «Und jetzt möchte ich, daß du mich ausführst, und zwar in das weiße Hotel am Hang», sagte sie und spitzte den violetten Mund.
    Es klang wie ein Satz in einem Film, und Perlmann mußte ein Lachen unterdrücken. Er zog sich an und suchte den Blazer mit den goldenen Knöpfen heraus. Er war froh, daß noch nicht Montag abend war. Als er aus dem Bad kam, zeigte sie auf das Blatt mit den Stichworten, das immer noch auf der Glasplatte des Schreibtischs lag.
    «Wenn ich mich im Seminar langweile, zeichne ich auch Ornamente», sagte sie.
    Erst als das Taxi in die Einfahrt des IMPERIALE einbog, gelang es Perlmann, diese Bemerkung zu vergessen.
     
    Kirsten saß weit zurückgelehnt in dem Sessel aus türkisfarbenem Plüsch und sah hinaus in die Lichterkulisse der Bucht.
    «Ich wünschte, Mama wäre auch hier», sagte sie in die leise Musik hinein, die von der Bar in den Salon herüberklang.
    Perlmann würgte an seinem belegten Brot. Also war es vielleicht doch nicht so, daß sie mit Agnes’ Tod besser und schneller fertig wurde als er. Und selbst wenn: Es war albern gewesen, ihr das übelzunehmen.
    «Gestern im Café», fuhr sie fort,«hast du etwas über Intimität und Freiheit gesagt. Ich weiß nicht, ob ich das verstanden habe. »Sie machte eine Pause, ohne ihn anzusehen.«Warst du glücklich mit Mama? Ich meine... Es war gut zu Hause, gab nie Streit. Aber vielleicht... »
    Perlmann schloß die Augen. Die Kamera klickte, und Agnes lächelte spöttisch, während er um sich schlug, um die Tauben zu vertreiben. Dann gingen sie zusammen durch Hamburg und zeigten sich immer wieder die leuchtenden Farben des naßglänzenden Herbstlaubs, während er im Inneren zahllose Male die erlösenden Worte des Arztes über Kirstens Gesundheit wiederholte. Er spürte im Gesicht den Wind über den Klippen der Normandie und sah Agnes’ Arm in der gelben Windjacke, der die volle Zigarettenschachtel mit einer runden Bewegung weit hinaus ins Leere schleuderte. Und dann, als ob sich diese neue Erinnerung trübend über die anderen schöbe, ohne sie ganz auszulöschen, spürte er Agnes’ Kopf an seiner steifen Schulter, nachdem ihr am Flughafen die Bemerkung über jene verträumte Aufnahme von Hongkong entschlüpft war.
    Er öffnete die Augen und sah, daß Kirsten ihn betrachtete.
    «Es ging uns gut. Die meiste Zeit hatten wir es gut miteinander. »
    Ihr Lächeln in diesem Moment, dachte er später, verriet, daß sie froh war über die Sicherheit in seiner Stimme, aber unzufrieden mit der Wortwahl. Schließlich hatte sie ja nach Glück gefragt.
    Sie schüttelte ihre Zigarettenpackung und wollte gerade, Silvestris Gewohnheit folgend, mit den Lippen eine herausfischen, da hielt sie inne, begann die ganze Bewegung von vorn und nahm, wie sonst auch, die Finger zu Hilfe.
    «Weißt du, Martin ist in Ordnung. Wirklich sehr in Ordnung.»Die Pause, die sie jetzt machte, geriet zu lange, sie spürte es und rang nach Worten.«Wirklich, das ist so. Es ist nur... ich weiß nicht... manchmal fehlt ihm so ein bißchen ein... Kick. Etwas, weißt du, wie es dieser blöde Giorgio... dieser blöde Silvestri... oder auch François... Oh, forget it.» Sie warf Perlmann mit einer raschen Kopfdrehung ein schiefes Grinsen zu und sah dann wieder zum Fenster

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