Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
wollten und wollten nicht kommen. Wann wird meine Kündigung rechtswirksam? Sofort? Kann ich einfach wegbleiben? Passieren kann mir ja eigentlich nichts mehr. Jetzt nicht mehr.
Dieses Semester, seufzte Ruge, sei er mit der Einführungsvorlesung dran. Während Millar und von Levetzov mit einfühlenden Worten darauf eingingen, sah sich Perlmann in der letzten Sitzung, wo das Lehrprogramm besprochen worden war. Die anderen hatten es außerordentlich kollegial gefunden, daß er bereit war, die Einführungsvorlesung zum drittenmal hintereinander zu halten. Aber einen Moment lang war doch eine Pause entstanden, und man hatte das Erstaunen mit Händen greifen können. War es nur Nachdenklichkeit, was da in den Gesichtern gestanden hatte, oder war es bereits Argwohn? Ich finde das zunehmend wichtiger, hatte er gesagt. Ich arbeite gern mit Anfängern. Sie haben unverbrauchte Köpfe. Es war eine Erklärung, gegen die man nichts sagen konnte. Und trotzdem hatte sich der Institutsdirektor einen sichtbaren Ruck geben müssen, um weiterzumachen.
Perlmann hielt diese Vorlesung jedes Semester ein bißchen anders, und das Neue war die immer unverhohlenere Distanz zum Stoff. Immer öfter flocht er Bemerkungen ein wie:«An dieser Stelle kann man die Frage stellen... Man muß sie vielleicht nicht stellen, aber wenn man sie stellt, dann...», oder:«Nun gibt es da diese Unterscheidung... », und dann machte er eine Pause demonstrativer Nachdenklichkeit, die beim Publikum den Eindruck erwecken mußte, daß er diese Unterscheidung für unnötig oder gar für unsinnig hielt. Er war in Gefahr zu übertreiben und dem Ganzen eine komödiantische Note zu geben. Besonders an Tagen, an denen es ihm schlecht ging. Die Studenten genossen es. Aber bereits in dem Moment, wo sie lachten, haßte er sich für das Theater. Denn es war ihm überhaupt nicht nach Theater, es war ihm todernst mit dieser Distanzierung von seinem Fach, die ihm zustieß wie ein unaufhaltsamer Wachstumsprozeß und die er mit zunehmender Verzweiflung beobachtete.
Leskov war mit der Pfeife beschäftigt gewesen und hatte still am Kaffee genippt. Er wünschte, sagte er jetzt in eine Gesprächspause hinein, er könnte auch so klagen. Bei ihm sei es von Semester zu Semester unsicher, ob er überhaupt einen Lehrauftrag bekomme. Er sagte es ganz nüchtern und ohne die Spur von Wehleidigkeit.
«Aber wenn ich jetzt den neuen Text einreiche, ändert sich das ja vielleicht», lächelte er und sah zu Perlmann hinüber.«Vorausgesetzt, er taucht wieder auf», fügte er mit einem Gesicht hinzu, in dem der angestrengte Humor die lauernde Panik nur unvollkommen zu überdecken vermochte.
Perlmann machte eine hilflose Geste mit der Hand und hatte keine Ahnung, ob das, was er mit den Gesichtsmuskeln versuchte, zu einem Lächeln führte oder nur zu einer Grimasse. An welche Adresse nur, dachte er krampfhaft, an welche Adresse. Und der Umschlag. Und die Warteliste für den Flug.
Während die anderen Trinkgelder gaben, zählte Perlmann die Summe genau ab und schob die Scheine ein Stück gegen die Tischmitte zu, so daß der Kellner sich weit nach vorn würde beugen müssen, um sie zu angeln. Aber der Kellner behandelte ihn erneut wie Luft und ließ sein Geld einfach liegen. Laura Sand deutete beim Aufstehen darauf und streifte Perlmann mit einem fragenden Blick. Er tat, als habe er nichts bemerkt. Er ließ die anderen vorgehen und wartete in der Halle, bis der Kellner, der sich jetzt sein Geld holte, aus dem Speisesaal kam.
«Wissen Sie», sagte er und versuchte, ihn in Grund und Boden zu starren,«ich hatte recht: Sie sind wirklich eines. Und was für eines.»
«Stronzo», gab der Kellner zischend zurück, und die Lippen schienen sich dabei keinen Millimeter zu bewegen.
Perlmann ließ ihn stehen und ging zu den anderen hinaus, die auf Taxis warteten.
49
Als er am nächsten Morgen gegen sieben Uhr aufwachte, dachte Perlmann zuerst, seine Halsschmerzen rührten vom wütenden Brüllen im Büro des Rektors her. Nur ganz allmählich wurde ihm klar, daß das trockene Kratzen vom Atmen mit offenem Mund kommen mußte, da seine Erregung offenbar einer Traumgestalt gegolten hatte. Zuletzt hatte es sich um den Rektor gehandelt. Doch nach und nach erinnerte er sich, daß diese Gestalt ursprünglich aus dem Kellner entstanden war. Ihn hatte er in Gegenwart der anderen abgekanzelt. Er war dazu aufgestanden, hatte sein kaltes Essen auf das makellose Tischtuch gekippt und hatte, indem er jedes Wort mit
Weitere Kostenlose Bücher