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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Arbeit, von seinem großartigen Lebenswerk die Rede war, in Gedanken in jene andere, häßliche Welt wanderte, auch wenn die Assoziation auf denkbar einfache, harmlose Weise zustande gekommen war. Offenbar erlebte er das geradezu als einen persönlichen Angriff – so, als würde damit indirekt auch sein eigenes Engagement mißachtet oder gar lächerlich gemacht.
    Silvestri hatte nicht gesehen, woher der Zettel kam. Er mußte, überlegte Perlmann, Millars Handschrift erkannt haben, denn als er nun die Augen hob, galt sein erster Blick ihm. Er fixierte ihn für einige Sekunden, und die steilen Stirnfalten über der Nase gaben dem hageren, hohlwangigen Gesicht einen bösen, unversöhnlichen Ausdruck. Während er den Blick, der jetzt etwas Verschlagenes angenommen hatte, erneut auf den Zettel richtete, nahm er den Kugelschreiber in die Hand und ließ die Mine langsam ein- und ausklikken. Er wiederholte das einige Male, der Rhythmus war gedehnt wie auf der Tonspur einer Zeitlupe, und die einzelnen Klickgeräusche schienen durch die beklommene Stille zu peitschen wie Schüsse. Perlmann hielt unwillkürlich den Atem an. Jetzt lehnte sich Silvestri zurück, verschränkte die Hände auf dem Kopf und sah, während er Atem holte, Millar voll ins Gesicht. Obwohl er nicht ihm galt, zuckte Perlmann unter der Härte des dunklen Blicks zusammen. Silvestris Stimme würde schneidend sein.
    In diesem Moment ging die Tür auf, und Signora Morelli betrat mit einem Zettel in der Hand die Veranda. Die Stille im Raum mußte ihr sonderbar vorgekommen sein, denn sie stutzte und ließ die Hand auf der Klinke, bevor sie sich mit einem «Scusatemi» einen Ruck gab und auf Perlmann zuging.
    «Ich dachte, Sie möchten das vielleicht sofort wissen», sagte sie, als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihm den Zettel gab.
    Sie hatte es leise gesagt, und doch war der italienische Satz im ganzen Raum zu hören gewesen. Anruf Reisebüro: Flug Frankfurt-Genua morgen 17.00 bestätigt, stand auf dem Zettel.
    «Grazie», sagte Perlmann heiser, faltete den Zettel und ließ ihn in die Jackentasche gleiten. Er wagte nicht, Leskov neben sich anzusehen, und wußte deshalb nicht, ob es vielleicht nur Einbildung war, daß er den Kopf erst jetzt wegdrehte.
    Erst als die Tür ins Schloß fiel, bemerkte Perlmann, daß Silvestri aufgestanden und offenbar auf und ab gegangen war. Jetzt drückte der Italiener die Zigarette aus, zögerte einen Moment und schwang sich dann, auf der Tischplatte sitzend, in die Mitte des Hufeisens. Mit einer eckigen Bewegung hob er den rötlichen Zettel auf, stellte sich vor Millar hin und ließ das Papier wortlos und ohne ihn anzublicken behutsam auf den Tisch gleiten. Dann schwang er sich erneut über den Tisch, rückte den Stuhl peinlich genau zurecht und fuhr im Vortrag fort. Nach wenigen Sätzen ging sein Atem wieder normal. Laura Sand atmete hörbar aus.
    Als die Diskussion begann, putzte Millar zunächst minutenlang die Brille. Später dann, während Silvestri mit Leskovs Fragen kämpfte, die heute viel unklarer waren als sonst, starrte er mit konzentriertem, aber leerem Blick hinaus zum Schwimmbecken, wo die schweren Regentropfen das Wasser hoch aufspritzen ließen. Hin und wieder warf ihm Silvestri aus den Augenwinkeln einen schnellen Blick zu. Im übrigen aber schien seine Aufregung abgeklungen zu sein, und er erwies sich auch hier als ein guter Zuhörer, der den Gesprächspartner durch ein knappes Nicken und die Andeutung eines Lächelns dazu ermunterte, den begonnenen Gedanken weiterzuspinnen.
    Worum ihn Perlmann besonders beneidete, war die viele Zeit, die er sich nahm, bevor er auf eine Frage antwortete. Er würde sich, so hatte man den Eindruck, durch keine Frage der Welt unter Druck setzen lassen. Fragen waren nicht etwas, wodurch er sich genötigt fühlte. Sie waren in erster Linie ein Anlaß nachzudenken, gleichgültig, wie lange das dauerte. Kein Wunder, daß Kirsten ihn sofort mochte. Wieder einmal verbarg Perlmann das Gesicht hinter den verschränkten Händen und versuchte innerlich zu ertasten, wie das Lebensgefühl eines Menschen sein mußte, der so wenig Angst vor den anderen und ihren Fragen hatte. Es wurde ihm beinahe schwindlig, als er sich mit äußerster Anstrengung auf den fiktiven Punkt des Erlebens konzentrierte, der zu erreichen wäre, wenn es ihm gelingen sollte, das Gefüge seiner Angst Stück für Stück abzubauen und in eine andere Art des Empfindens umzuwandeln.
    Es war Ruges glucksendes Lachen, das ihn

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