Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
den Hals. Er will etwas sagen, doch dann wendet er sich zur Seite und tastet sich zu einem Sessel.
Sir Henry dagegen versucht seiner Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben, als er zu bedenken gibt:
„Vielleicht machen Sie sich unnötige Sorgen, Mister Clifton. Vergessen Sie nicht, daß Dicki ein lebhafter Junge ist und Jungen nur allzugern ein bißchen Forscher spielen und auf Entdeckung gehen. Und ich glaube“, so schließt Sir Henry mit einer alles umfassenden Handbewegung, „hier im Schloß gibt es allerhand zu entdecken.“
Perry nickt, und um seine Lippen legt sich ein spöttischer Zug, als er antwortet:
„Da mögen Sie allerdings recht haben, Sir Henry. Zuerst wäre da ein gewisser Mister Spencer Freeman zu entdecken. Ich habe ihn in Verdacht, mit dem Verschwinden Dickis zu tun zu haben.“
Douglas Everbridge richtet sich in seinem Sessel auf. „Wer ist das, Spencer Freeman, Mister Clifton?“
Perry Clifton zuckt mit den Schultern. „Ich glaubte, daß Sie mir diese Frage beantworten könnten. Schließlich sollten Sie doch wissen, wer in Ihrem Haus ein- und ausgeht.“ Sir Douglas windet sich verzweifelt: „Es tut mir leid. Ich habe diesen Namen noch nie gehört. Henry, ist dir der Name ein Begriff?“
„Nein!“ gibt Henry seinem Bruder entschieden Bescheid. Perry Clifton fährt ungerührt fort: „Er trug einen dunkelblauen Anzug, hat eine Narbe im Gesicht, die vom Auge bis zum Mund reicht, und eine tiefe Stimme.“
Douglas Everbridge sieht hilfesuchend seinen Bruder an, doch der zuckt nur mit den Schultern, während er mit einem ironischen Blick Perry Clifton streift. Man sieht es ihm an, daß er Cliftons Sorge für übertrieben hält.
„Dann werde ich mich wohl mit Lady Pamela in Verbindung setzen müssen.“
„Pamela?“ fragt Sir Henry kalt. Und auch Sir Douglas zuckt zusammen: „Was hat meine Schwester damit zu tun, Mister Clifton?“
Eigenartig, wie sie sich plötzlich bemühen, ihre Schwester herauszuhalten, durchfährt es Perry. Und laut erwidert er: „Ganz einfach. Lady Pamela scheint die einzige Person in diesem Schloß zu sein, die diesen Mister Spencer Freeman kennt. Zumindest nannte sie mir seinen Namen!“
Douglas Everbridge springt aus seinem Sessel auf, während er ungläubig wiederholt: „Sie nannte Ihnen diesen Namen?“
„Ganz recht, Sir.“ Und bevor Sir Henry sprechen kann, fügt Clifton hinzu: „Und ich habe mich nicht verhört!“
Sir Douglas nagt an seiner Unterlippe; seine Finger spielen das übliche nervöse Spiel, während er aufgeregt in kleinen Schritten hin- und herzulaufen beginnt. Sir Henry hat den Platz seines Bruders eingenommen und die Beine übereinandergeschlagen.
„Woher sollte Pamela diesen Namen kennen? Es müßte ja ein reiner Zufall sein. Nein, unmöglich…“ flüstert Sir Douglas heiser.
Bevor Perry etwas erwidern kann, tritt ein neues Ereignis ein: Die Tür zum Hof öffnet sich, und Jamesberry schiebt sich in die Halle. Suchend gleiten seine Blicke über die Anwesenden, bleiben an Sir Douglas hängen. Jamesberry schwenkt einen Zettel.
Sir Douglas geht mit gerunzelter Stirn auf den alten Hausdiener zu.
„Was ist los, Jamesberry?“ fragt er dabei unwirsch.
„Dieser Zettel war draußen an der Tür angezweckt, Sir!“ antwortet der Angeherrschte und reicht Sir Douglas einen kleinen, reckteckigen weißen Zettel. „Geheimnisvolle Nachricht!“ kichert er dann und blinzelt Perry verschmitzt zu. Cliftons Aufmerksamkeit richtet sich auf Sir Douglas, der ihm in diesem Augenblick den Zettel mit dem Ausdruck verständnislosen Bedauerns hinhält.
„Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, was ich damit anfangen soll.“
Perry liest die wenigen, in deutlichen Druckbuchstaben hingeschriebenen Worte: „Vase in der Halle“, und es dauert wirklich nur einige wenige Sekunden, bis sich ein akustischer Vorgang in seine Erinnerung schiebt. Es war, als er oben im Gang des ersten Stocks das eigenartige Scheppern hier unten in der Halle gehört hatte.
Perry sieht sich um; zwei Vasen zieren die Halle. Die eine ist mindestens einen Meter hoch. Sie steht unmittelbar neben dem Treppenaufgang. Perry eilt hinüber. Ein Blick genügt ihm, und er weiß, daß nur die zweite Vase gemeint sein kann. Diese ist wesentlich kleiner und steht auf einem hölzernen Podest bei der Sesselgruppe, wo im Augenblick auch Sir Henry sitzt. Schon als er die chinesische Vase in die
Hand nimmt, hört er das klirrende Geräusch. Vorsichtig hebt sie Clifton und dreht
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