Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
Dicki scheint nicht sehr überzeugt von dieser Möglichkeit zu sein.
„Dann werden wir uns beide darüber freuen. Du weißt doch, wo er sein Zimmer hat?“
„Auf dem Gang, der von der Halle zur Küche führt.“
Perry Clifton hat schon die Klinke in der Hand, als er innehält und für Sekunden einer plötzlichen Eingebung nachsinnt. Dann scheint er entschlossen, sein ursprüngliches Vorhaben aufzugeben.
„Wir machen es anders. Dicki. Ich glaube, daß es besser ist, wenn wir Jamesberry nicht in seiner gewohnten Umgebung befragen.“
„Aber…“
„Geh hinunter zu ihm und bitte ihn, zu mir zu kommen. Sage ihm, ich möchte gern etwas Privates mit ihm besprechen.“
„Und wenn er nicht kommen will — oder wirklich krank ist?“
„Dann ist immer noch Zeit, ihn unten zu besuchen.“
„Ist gut, Mister Clifton.“ Dicki springt voller Spannung und Tatendrang die Treppen hinunter. Mit schnellen Schritten durchquert er die Halle und verschwindet durch die zum Gang führende Tür. Er hat sich bereits bis auf wenige Meter Jamesberrys Zimmer genähert, als ihn eine Stimme erstarren läßt. Die Stimme kam zweifellos aus Paganinis Zimmer und gehörte — Spencer Freeman. Im Augenblick herrscht Schweigen. Nur in Dickis Ohren rauscht es dröhnend. Dicki will sich zwingen, näher an die Tür heranzutreten, als es ihn siedendheiß überläuft. Was soll er tun, wenn Spencer Freeman jetzt den Gang betritt? Der Gedanke, einfach fortzulaufen, ist verlockend, doch da hört er die tiefe Stimme wieder sprechen. Und es sind keineswegs freundliche Worte, die Dicki durch die Tür vernimmt:
„Du bist ein alter Narr, Jamesberry. Ein alter Narr, für den Dankbarkeit nur leere Worte zu sein scheinen.“ Zitternd preßt sich Dicki an die kühle Wand des halbdunklen Ganges.
„Dankbarkeit kann auch zu weit führen, Mister“, hört er Jamesberry ironisch antworten.
„Quatsch! Sobald es dunkel ist, schaffst du das Zeug in das Versteck. Er will es so!“
Dicki wagt es kaum, Luft zu holen. Er glaubt, sein aufgeregtes Atmen könnte ihn verraten. Endlos dünkt ihm die Zeit bis zu Jamesberrys Erwiderung. Diesmal hört er dessen Antwort nur gedämpft, aber immer noch laut genug, um den Widerwillen herauszuhören:
„Warum machst du es nicht selbst, Mister? Du bist doch sonst so ein kluger Mann! — Also meinetwegen. Aber es ist das letztemal, daß ich in dieser Angelegenheit behilflich bin. Und jetzt raus!“
Dicki wendet sich um und hastet panikartig davon. Niemand darf ihn hier sehen. In rasender Eile fegt er durch die Halle und fällt mehr, als er läuft, die Treppen zum Oberstock hoch.
Als er die Tür des gemeinsamen Appartements hinter sich zugeworfen hat, bleibt er schweratmend stehen und lehnt sich an den Türrahmen.
Perry Clifton, der erschrocken zusammengefahren war, eilt zu Dicki hin und packt ihn bei den Schultern. Bei Dickis Anblick ahnt er Schreckliches.
„Was ist los, Dicki?“ fragt er heiser vor Erregung. „Was ist geschehen?“
„Spencer Free — man“, keucht Dicki, „Spencer Freeman war bei Paganini!“
Perry Clifton entspannt sich. Er hatte mit viel Schlimmerem gerechnet. Daß Freeman bei diesem Hausdiener war, ist zwar erstaunlich, aber keine Sensation, nachdem sie ja ohnehin wußten, daß Jamesberry in die Sache verwickelt ist. „Hat er dich gesehen?“
Dicki schüttelt den Kopf. Langsam kehrt die Farbe wieder in seine kalkweißen Wangen zurück. „Niemand hat mich gesehen. Sie haben sich unterhalten, ich habe alles verstanden. Jamesberry will nicht mehr mitmachen… er soll…“
„Nun immer der Reihe nach!“ unterbricht ihn Perry und schiebt ihn zu einem Stuhl. „Also, du bist hinunter und hast gehört, daß Spencer Freeman in Paganinis Zimmer war?“
„Ja.“
„Spencer Freeman hat von Jamesberry etwas verlangt, stimmt das?“
Dicki nickt erstaunt. „Woher wissen Sie das?“
„Das ging aus deinen Worten hervor. Was hat er verlangt?“
„Jamesberry soll heute abend etwas aus einem Versteck holen. Was, weiß ich nicht.“
„Und Jamesberry wollte nicht?“
„Nein. Er sagte, daß Dankbarkeit…“, Dicki zuckt mit den Schultern, „irgendwas mit Grenzen.“
„Verstehe. Sicher sagte er, daß Dankbarkeit Grenzen habe.“
„So ähnlich sagte er. Und dann mußte ich verschwinden.“
„Und du bist sicher, Dicki, daß dich weder Jamesberry noch Spencer Freeman gesehen haben?“
Etwas hilflos sieht Dicki seinen Freund an. „Ich bin weggelaufen. Umgedreht habe ich mich
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