Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
nicht, wohin sie sich danach gewandt hat. Ich habe sie an der Universitäts-Bibliothek ausgeladen.“
„Vielleicht hat sie Angst vor den Geistern bekommen, was halten Sie von dieser Möglichkeit, Tommy?“
Tommys Augen blitzen Perry wütend an, während sich nun einige anscheinend seit längerer Zeit angestaute Empfindungen zu entladen drohen: „Wissen Sie, Mister Clifton, hier stinkt so manches. Und ich komme nicht dahinter! Irgend jemand will die Everbridges in die Knie zwingen, will sie vielleicht sogar vernichten. Erst der Brand, die Diebstähle, dieses Affentheater mit den Raben, die Jagd auf alle Gäste, bis sie fluchtartig das Feld räumen… das alles muß doch einen Sinn haben!“ Er holt tief Luft.
Perry nimmt die Gelegenheit wahr, um rasch einzuwerfen: „Vergessen Sie nicht die Prophezeiung der Zigeunerin!“ Lendersons Hand schneidet wegwerfend die Luft: „Alles abergläubischer Kram. Das ist was für uralte Weiber oder für Leute vom Schlag eines Paganini — aber nichts für mich!“
Aufseufzend läßt sich Tommy Lenderson auf einen Stuhl fallen.
„Vielleicht hat Lady Pamela eine Ahnung, wer hinter all diesen Ereignissen steckt — und sie hat Angst. Vielleicht auch Angst vor…“ Perry Clifton macht eine winzige Pause, um mit erhöhter Stimme zu vollenden „Spencer Freeman?“
Doch Lenderson reagiert nicht sonderlich. Mürrisch entfährt es ihm: „Zum Teufel mit Spencer Freeman. Ich kenne niemanden, der so heißt.“
Perry Clifton legt seine Hand auf Lendersons Schulter und sagt mit ernster Stimme: „Schön, Mister Lenderson. Ich würde gern dazu beitragen, daß auf Schloß Catmoor wieder Frieden und Freude am Dasein einkehren. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, was uns helfen könnte. Sie können jederzeit zu mir kommen, jederzeit, verstehen Sie?“
Tom Lenderson, der Chauffeur, nickt stumm und sieht Perry Clifton forschend an. „Ich werde mir den Kopf zerbrechen…“
… und dann stießen wir auf Schafe. Es waren eine ganze Menge. Sie standen herum, blökten und fraßen von der Wiese. Ein Hammel (das ist ein Mann bei den Schafen) ist mir nachgerannt, um mich in die Hose zu stoßen. Mister Clifton hat ihn aber erst abgehalten und dann vertrieben. Im Schloß ist es schön. Auch unsere Zimmer sind schön. Paganini heißt eigentlich Jamesberry. Er kann singen und Gitarre spielen und war früher mal Seemann, was man hört, wenn er schwindelt, was man aber nicht Schwindeln, sondern Seemannsgarn nennt. Hier gibt es Ritter zum Aufklappen. Ich war drin! Liebe Mam, lieber Papa, ich muß schließen, denn ich höre Schritte. Das ist gewiß Mister Clifton. Er hat den Chauffeur verhört. Bis zum nächstenmal. Euer lieber Dicki.
(Ich habe mir heute den Hals gewaschen, und auch die Zähne hat mich Mister Clifton putzen lassen.)
Aufseufzend legt Dicki den Bleistift zur Seite und überlegt, ob er das Geschriebene noch einmal durchlesen soll. Doch er entschließt sich für Nicht-noch-einmal-durchlesen, faltet fein säuberlich den Bogen und steckt ihn in den Umschlag. Er setzt gerade zum Anfeuchten an, als die im Brief geflunkerten Schritte tatsächlich aufklingen und Perry Clifton das Zimmer betritt.
Dicki hält seinen Brief hoch und verkündet: „Hier — ich habe geschrieben!“
„Hast du auch einen Gruß von mir ausgerichtet?“
„Sie haben nichts davon gesagt, Mister Clifton!“
„Das tut man auch ohne besondere Aufforderung, mein Sohn.“
„Das nächstemal“, winkt Dicki ab. „Dann weiß ich wenigstens gleich, was ich schreiben soll.“
„Na, wenn dein heutiger Brief auch nicht länger ist, werden sich deine Eltern freuen.“
„Ich habe eine ganze Seite vollgeschrieben. Von unserem Spaziergang. Vom Hammel und Paganini und von dem hohlen Ritter.“
„Vom Ritter auch? Dann werden sich die Millers aber Sorgen machen.“
„Ich habe doch nur geschrieben, daß es hier Ritter zum Aufklappen gibt, mehr nicht.“
Jetzt muß Perry doch lachen. Dicki hämmert fünf-, sechsmal die Faust auf den Tisch, und als Perry Clifton erstaunt nach der Ursache sieht, muß er feststellen, daß dies Dickis Art ist, eine Briefmarke haltbar auf einem Umschlag zu befestigen.
„Mach mal weiter so, Dicki. Du verscheuchst mit deinem Gepolter sämtliche Schloßmäuse!“
„Die sitzt“, schnauft Dicki und gleitet von seinem Stuhl. „Kommt jetzt Paganini an die Reihe?“
„Ja. Jetzt wollen wir uns Paganini vorknöpfen. Hoffentlich empfängt er uns freundlich.“
„Und wenn er unschuldig ist?“
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