Persephones Erbe (German Edition)
hilflos auf ihrem Balkon gelegen, zuerst noch Wasser zu trinken gehabt, das aus einer undichten Dachrinne tropfte.
Bis die Hausverwaltung den Schaden repariert hatte.
Schlimm, nicht?
, flüsterten die Toten.
Willst du mehr hören?
Nein, ich brauchte keine weiteren Geschichten. Ich kannte sie zuhauf. Wann immer in den letzten fünfzehn Jahren in meiner Heimatstadt ein grausamer Mord geschehen war, ein Mensch sein Leben durch einen schlimmen Unfall verloren hatte, mein Stiefvater hatte mir davon erzählt.
Allerdings gingen kaum alle Toten, die hier in der Kammer flüsterten, auf dieses Konto. Manches Schicksal kannte ich auch aus Visionen. Dunkle Orte wie die Kammer, in der ich hockte, setzten Bilder in meinem Kopf in Gang. Damals, im Keller der Hexe, meiner ersten Psi-Therapeutin, hatte ich das noch nicht gewusst. Nur dass ich mich vor dem lebhaften »Alptraum« halb zu Tode gefürchtet hatte.
Auch jetzt schälte sich aus der Nacht der Kammer eine Vision: Polizeiautos standen vor Malchows Villa. Eisenharte Klammern hielten mich fest. Handschellen.
Ich empfand ein vages Schuldgefühl.
Richtig
, sagten die Stimmen,
hättest du es vor Malchows Augen mit Armin getrieben, wäre er nun nicht tot
. Und ich wäre das Problem Pluto los.
Leider nicht
, flüsterte ein Schatten.
Doch
, widersprach eine Frauenstimme.
Es gibt einen Weg, wie sie Ihm entgehen kann. Nimm das Messer, Kati. Unser Herr küsst kein kaltes Fleisch
.
Ich hob das rostige Ding an meine Kehle.
Vielleicht war das wirklich die Lösung. Ein kurzer Schnitt und ich war jenseits aller Sorgen. Der Mann, den ich gewollt hatte, war tot. Auch wirtschaftlich war diese Rom-Reise eine Katastrophe. Als Kunsthistorikerin war ich arbeitslos und als Seherin sah ich für mich auch keine Zukunft. Rationalisten wie meine Mutter (und mein Stiefvater) hätte eine Vorhersage welcher Art auch immer sowieso nicht überzeugt und die große Masse sprach in aller Regel nur an, was ihren Geldbeutel füllte. Nein, als Seherin hatte schon Kassandra kein Glück gehabt, dabei stammte ihre Gabe von Apoll.
Meine war vermutlich genetisch, undokumentiertes Psi. Was die Sache nur schlimmer machte, denn dagegen gab es so wenig eine Heilung wie gegen Sommersprossen. Ich war erst Ende Zwanzig. Ich konnte bis an mein Lebensende durchaus noch ein Millionenheer von Geistern in meinem Kopf ansammeln. Bis mich der Lärm auf die eine oder andere Weise umbrachte. Es stimmte schon, ich hatte keine Zukunft.
Aber das Metall des Messers war durch den Rost so brüchig und dünn, dass ich befürchtete, mir damit die Kehle durchzuschneiden könnte sich als schwierig herausstellen. Ich mochte nicht minutenlang mit einer stumpfen Klinge an meinem Hals herumsäbeln. Anschließend Stunden, wenn nicht Tage, halb erstickt in meinem eigenen Blut liegen, röchelnd.
Denk nicht lange nach. Mach es einfach
, flüsterte die alte Frau.
Kati? Hör nicht auf sie
, sagte Armin.
Ich bin bei dir
.
Armins Lächeln fiel mir ein, immer leicht schief von der Narbe neben seinem Mund. Sein warmer Körper. Er lag jetzt kalt und steif in Lupercus Kühlbox.
Siehst du Kati
, flüsterte eine Stimme.
Er kommt nicht wieder
.
BLUT! GIB UNS DEIN BLUT
.
Der fordernde Chor setzte wieder ein. Die Kammer in den Katakomben hallte von den Stimmen der Toten wider. Nein, sie hallten nur in meinem Kopf. Um mich war es still. Ich hörte in Wirklichkeit nur meinen Herzschlag. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Den Rest bildete ich mir ein.
Oh, diese grausame Stille. Ich fand sie viel schlimmer, als die Ratschläge des Selbstmörder- und Mördertrupps, den ich mir durch die Erzählungen meines Stiefvaters eingefangen hatte. Menschen, die durch Gewalteinwirkung gestorben waren, waren schlechte Ratgeber. Sie kicherten.
Wenn schon Selbstmord, dann ordentlich
, flüsterte eine Stimme. Sie klang zu tief für eine Frau, zu hoch für einen Mann.
Ich stand auf, tastete mich die Mauer entlang bis zur Türöffnung. Dort endlich fühlte ich unter meinen wunden Fingerspitzen gewachsenen Stein. Ich setzte die rostige Klinge vorsichtig an. Immer leicht schräg, von der Spitze zum Heft. Von der Spitze zum Heft. Langsam und gleichmäßig, mit ganz leichtem Druck. Der Rost hatte die Schneide in eine Berg- und Talbahn verwandelt. Jedes Rostpartikelchen holperte unter meinem Strich. Ich war nicht überzeugt, dass das brüchige Metall die Prozedur überlebte. Und noch weniger, dass ich die Klinge einsetzen würde.
Später vielleicht.
Wenn meine Lage
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