Persephones Erbe (German Edition)
vor der Dunkelheit, die ich in meinem ganzen Leben gehabt hatte. Bisher, hatte ich mich immer, wenn es ganz schlimm kam, schreiend und schluchzend zusammengekauert. Darauf gewartet, dass mich jemand rettete. Zuletzt Armin.
Gott, mir kam ein schlimmer Verdacht. Lupercu behauptete, dass ich eine Seherin war. Damals vor dem Tauerntunnel hatte ich Feuer gesehen. Doch die Katastrophe war erst mehr als zehn Jahre später gekommen. Und auch danach, die Alpträume, die mich in der Zeit der Scheidung meiner Eltern und danach verstört hatten. Wenn ich sie heute richtig interpretierte, hatte ich den Unfall meines Vaters vorausgesehen.
Aber er hätte in jener Nacht sicher nicht auf mich gehört. Das Schicksal der Seher. Meine Eltern hatten meine Vision zu Hirngespinsten erklärt, mich Psychotherapeuten, und später, obwohl sie beide Rationalisten waren, Hexen und Heilern ausgeliefert. Genau wie zur Zeit der Odyssee: Niemand glaubte einer Kassandra.
Aber die Kassandra namens Kati wusste nicht einmal wo sie war. Jede Sekunde konnte ich mit der Hand in eine Nische geraten, Staub oder noch viel schrecklicher: Gebeine berühren. Jede Sekunde konnte die Wand, an der ich mich entlang schob, aufhören. Noch ein Schritt und ich stand vor dem Nichts. Ein zweiter und ich stürzte ab, brach mir alle Knochen. Lag für die Ewigkeit dort in dem Schacht vor mir, tot. Oder war das vor mir, das sich wie eine steinerne Bank anfühlte, nur ein Absatz, eine Art Sitzbank? Hatten hier die Angehörigen derer, die vor zweitausend Jahren begraben worden waren, vor der Urnenwand das Totenmahl gefeiert?
KATI!!!
Sie waren mir gefolgt, natürlich. Kalte Küsse saugten an meinen Händen. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Schreie, Klagen, Stimmen, die nach mir schrieen.
BLUT!
Kati! Komm zu mir!
»Armin, wohin denn? Ich kann dich nicht sehen.«
Hierher
.
Eine Stimme dicht neben meinem Ohr. Ich folgte ihr, fand eine weitere Öffnung, einen neuen Gang. Stickig war es hier, viel stickiger als vorher. Die Kammer, in der ich jetzt stand, hörte sich an, als sei sie nur klein.
Komm, meine Schöne. Gib uns, was wir brauchen
.
Sie kicherten. Der mich verführt hatte, in diese Kammer gelockt hatte, war nicht Armin.
DA IST EIN MESSER
Meine Hände berührten eine Wand. Ich ging sie ab, Hand über Hand vorsichtig tastend. Glatte Wände, glatt wie verputzt. Die Fingerkuppen taten es nur unzureichend, durch die Brandblasen war eine Menge Gefühl dahin. Unter meinen Händen war kein Körnchen Sand zu spüren. Nur glatte Kühle.
Um mich heulte eine Menschenmenge.
KATI!
Ich stieß auf eine Ecke, tastete mich über die nächste Wand. Viel zu schnell kam wieder eine Ecke. Eine neue Längswand, das Gegenstück zu der, die ich zuerst mit den Händen vorfühlend abgegangen war.
BLUT!
GIB UNS DEIN BLUT!
Ich presste mir die Hände auf die Ohren, hörte sie trotzdem.
NIMM DAS MESSER
Ich stieß mit dem Fuß dagegen. Es lag auf dem Boden. Ich nahm es.
GIB UNS BLUT!
Sie sagten, dass alles meine Schuld war. Dass die Nixen Armin nicht bekommen hätten, wenn ich ihn beansprucht hätte. Sein Herzinfarkt ging auf mein Konto. Eine gute Frau überließ ihren Mann nicht anderen Weibern und seien es Nixen. Eine gute Frau opferte sich für ihren Geliebten. Armin konnte mit meinem Blut wieder leben.
20.
Sie hatten natürlich recht. Schmeichelnde Stimmen machten mir klar, dass ich dem ganzen Irrsinn besser jetzt ein Ende setzte, als noch Tage in der Schwärze auszuharren. Sie fragten mich, ob ich nicht wüsste, wie schlimm der Tod durch Verdursten sei. Dass die, die dieses Schicksal traf, vorher wahnsinnig würden.
Manche kratzen sich die Augen aus
, flüsterten die Stimmen.
Willst du blind sein? Stell dir nur die Schmerzen vor. - Ich habe es gemacht
, sagte eine Frauenstimme,
es war entsetzlich. Danach habe ich noch versucht, meinen eigenen Arm anzufressen. - Nein, das war schon vorher. Du bist erst zuletzt verdurstet. Vorher bist du nur verhungert. - Man verdurstet aber schneller, als man verhungert
.
Sie stritten darüber, doch ich hörte nicht mehr zu. Mir war schlecht. Ich erinnerte mich jetzt wieder. Leider.
Auch diese Stimme gehörte im weitesten Sinn zu meinem Umfeld. Sie klang jung, doch ich wusste, dass die Frau, die sich in ihrem verzweifelten Durst selbst die Augen ausgekratzt hatte, mit fast Neunzig gestorben war. Die Horrormeldung war durch die gesamte Presse gegangen. Die alte Frau hatte nach einem Oberschenkelhalsbruch vierzig endlose Tage
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