Persilschein
griff wieder zum Taschentuch. Dann sagte er: »Einverstanden. Dann aber sofort. Heute Nachmittag wollen meine Frau und ich für drei, vier Wochen zu Verwandten fahren. Deshalb bin ich ja unverzüglich zu Ihnen gekommen.«
»Das ist mir sehr recht«, antwortete der Hauptkommissar und erhob sich.
Die Bombenschäden an den Häusern in der Schäferstraße waren schon längst beseitigt. Auch Bauers Villa präsentierte sich im besten Zustand: dunkelroter Klinker, Balkone zur Straße, gepflegter Vorgarten.
Als sie im Hausflur standen, bat der Vermieter Goldstein, einen Moment zu warten, damit er den Schlüssel zur Wohnung Lahmers holen konnte. Kurz darauf standen sie vor der Tür der Mietwohnung.
Udo Bauer schloss auf und wollte gerade eintreten, als der Kommissar ihn zurückhielt.
»Das erledige ich ohne Sie.«
»Sie können doch nicht …«
»Ich dachte, dass wir alles in meinem Büro geklärt hätten. Na gut. Wenn Sie es so wollen.« Er wandte sich zum Gehen. »Ach ja, kommen Sie morgen um acht Uhr ins Präsidium. Ich benötige weitere Auskünfte von Ihnen.«
»Meine Frau und ich wollten doch zu Verwandten …«, jammerte Bauer.
»Tut mir leid. Ich ermittle in einem Mordfall. Auf Ihren Urlaub kann ich keine Rücksicht nehmen. Sie können schließlich auch etwas später fahren.«
Bauer gab den Weg frei.
Goldstein betrat den Wohnungsflur und zog die Eingangstür hinter sich zu. Dann sah er sich um. An den weiß gestrichenen Wänden hingen Ölgemälde. Sie sahen alt aus, aber Goldstein konnte gerade einmal impressionistische Maler von Expressionisten unterscheiden. Damit endete schon sein künstlerischer Sachverstand. An einer der Wände stand ein schmales Vertiko. Der Polizist öffnete es. Leer.
Links von ihm lag das Bad. Eine Wanne, die Toilette. Zahnbürste und Kamm auf der Ablage unter dem Spiegel. Handtücher in dem kleinen Unterschrank. Nicht mehr. Alles war penibel sauber, erschien fast unbewohnt. Keinerlei Schmutzwäsche. Nur bei genauerem Hinsehen ließen sich Spuren eines Menschen entdecken: ein einzelnes Haar neben der Seifenschale, Zahnpastareste im Waschtisch.
Auch die Küche war sorgsam aufgeräumt. Goldstein war irritiert. Wenn Lisbeth seinen Schwiegervater und ihn nur für ein, zwei Tage allein ließ, um eine Freundin zu besuchen, stapelte sich schon nach Stunden das Geschirr im Waschbecken. Kurz darauf fand sich kein sauberes Messer mehr. Aber hier? Alles tadellos. Seltsam.
Goldstein schaute in die Schränke. Teller, Tassen, Töpfe und Pfannen. Die üblichen Gerätschaften. Der Kommissar holte eine der Bratpfannen hervor. Gusseisen. Sorgfältig eingeölt. Wie neu.
Schließlich das Wohnzimmer. Schwere Polster, ein Eichenschrank. Auf einer Anrichte thronte ein Radio, daneben drei Flaschen Likör, Cognac und Rum. Ungeöffnet. Ein dicker Teppich. Weitere Ölbilder an den Wänden. Auf dem Sofa Kissen, wie mit dem Lineal ausgerichtet. In der Mitte eingedrückt, die Spitzen links und rechts in derselben Höhe.
Goldstein öffnete die Schublade der Anrichte und fand einige Papiere. Er nahm sie zur Hand und blätterte sie durch. Ein Kaufhauskatalog. Entwertete Karten für ein Lustspiel mit Heinz Erhardt in der Herner Lichtburg . Ein Zeitungsartikel über das Notasyl an der Weichselstraße. Schreiben des Vermieters Bauer. Die Strom- und Wasserrechnung. Banales Zeug. Der Hauptkommissar legte den Stapel zurück an seinen Platz. Er wollte das Fach schon schließen, hob aber dann doch noch die Stoffservietten hoch, die neben den Papieren lagen. Und tatsächlich: Darunter fand sich ein Soldbuch der Wehrmacht. Goldstein schlug es auf. Es handelte sich um eines dieser Soldbücher, die über Einlageblätter verfügten, auf denen die Truppenteile vermerkt waren, bei denen der Ausweisinhaber diente. Solche Blätter konnten jedoch bei einer drohenden Gefangennahme leicht entfernt werden. Auf den fest gehefteten Seiten dagegen waren unverfängliche Einheiten angegeben. Lahmer hatte den Dienstgrad eines Majors. Er war – so stand es auf den gehefteten Seiten – bei dem Nachschubstab z.b.V. 365 eingesetzt. Als letzter Standort war Lemberg angegeben. Früher polnisch, heute zur Sowjetunion gehörend. Als er den Namen der Stadt las, meinte er, sich an etwas zu erinnern. Einen Fall? Aber der Gedankenfetzen lies sich nicht greifen. War wahrscheinlich sowieso unwichtig.
Er blätterte weiter und stutzte. Das war ja interessant. Auf einem der Einlageblätter war ein anderer Truppenteil vermerkt. Einer, der nicht so
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