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Persilschein

Persilschein

Titel: Persilschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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Umerziehungslager gewandert. Wer hätte da eine nur halbwegs funktionierende staatliche Verwaltung aufbauen sollen, wenn der größte Teil der sogenannten Eliten hinter Gittern verschwunden wäre? Nur in einem Punkt wäre es beinahe heikel geworden. Der Vorsitzende hatte die Versicherung einer seiner Angestellten aus dem Bochumer Warenhaus verlesen. Darin hieß es, Trasse habe sie vor dem Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront in Schutz genommen, als sie den deutschen Gruß nicht erwidert habe. Dumm war nur, dass in dieser Erklärung noch der alte, jüdische Name des Kaufhauses benutzt wurde und nicht der, den Trasse nach der Arisierung verwendet hatte. Dieses Detail hatte die Kommunisten aufhorchen lassen. Wie er denn an das Geschäft gekommen sei? Was er dafür bezahlt habe? Ob er Beziehungen zur Kreisleitung der NSDAP unterhalten habe? Was aus den früheren Besitzern geworden sei?
    Trasse war es gelungen, all ihre Fragen ruhig zu beantworten. Diese Nachforschungen waren naheliegend und er hatte sich darauf vorbereitet. Schließlich kam ihm der Ausschussvorsitzende zu Hilfe und brach die Befragung zu diesem Punkt ab. Der Eigentumsübergang, so klärte er seine Kollegen auf, sei im Vorfeld durch die britische Besatzungsmacht umfassend geprüft worden. Ein entsprechendes Schriftstück befände sich in den Akten. Trasse kannte den Wisch. Saborski hatte ihn schon vor Monaten besorgt und es irgendwie gedeichselt, dass ihn ein englisches Siegel und eine entsprechende Unterschrift schmückten.
    Den Höhepunkt jedoch stellte der Auftritt dieses Breitschneiders dar. Er hatte mit Tränen in den Augen berichtet, wie ihn Trasse, der alte Freund seines Vaters, vor den Nazis versteckt und ihm so das Leben gerettet hatte. Die Kommunisten löcherten Breitschneider mit Fragen nach dem KZ-Alltag, die dieser ohne Zögern beantwortete. Kein Wunder, hatte er diese Erfahrungen doch am eigenen Leibe machen müssen. Zwar war Breitschneider nicht als politisch Verfolgter, sondern als Krimineller inhaftiert gewesen, aber das wusste ja niemand. Die Metamorphose eines grünen zu einem roten Winkel war perfekt gelungen. Und der Mann hatte seine Rolle wirklich gut gespielt. Saborski hätte keinen Besseren auftreiben können.
    Der Fahrer wartete mit dem Wagen an der Straßenecke. Trasse setzte sich in den Fond und gab Anweisung, ihn in sein Bochumer Büro zu bringen. Als das Fahrzeug anfuhr, lehnte er sich zurück und lächelte.
    16
     
    Freitag, 29. September 1950
     
    Vom Flur drang lautes Stimmengewirr in Goldsteins Dienstraum. Als nach einigen Minuten der Tonfall schärfer wurde, stand der Kommissar auf, um nachzusehen, was dort vor sich ging.
    Wenige Meter von seiner Tür entfernt stand heftig gestikulierend eine Frau, die laut rief: »Ich will jetzt sofort einen Kriminalbeamten sprechen! Unverzüglich.« Bei diesen Worten stampfte sie wütend mit dem rechten Fuß auf. Zwei uniformierte Wachtmeister versperrten der Frau den Weg und versuchten, sie zu beruhigen.
    Einer sagte: »Sie können nicht so einfach in ein Dienstzimmer spazieren. Sie müssen sich vorher anmelden und …«
    »Was ist hier los?« Goldstein näherte sich der Gruppe.
    »Diese Person, Herr Hauptkommissar«, begann der andere Beamte, »ist an der Pforte vorbeigestürmt, ohne ihre Personalien anzugeben.«
    »Das stimmt so nicht«, widersprach die junge Frau, die Goldstein auf höchstens dreißig Jahre schätzte. »Ich habe gesagt, wer ich bin und mein Anliegen genannt. Aber ich lasse mich nicht mehr abwimmeln! Als ich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet wurde, ist mir der Kragen geplatzt. Sind Sie ein Kriminalpolizist?«
    »Ja.«
    »Würden Sie mich anhören?«, bat sie. »Es dauert nicht lange.«
    Goldstein zögerte.
    »Bitte!«, flehte sie.
    »Also gut. Kommen Sie.« Goldstein nickte seinen Kollegen zu. »Ich übernehme das.«
    Die Frau folgte ihm.
    In seinem Büro sprudelte es nur so aus ihr heraus. »Ich heiße Anneliese Schaller. Meine Freundin ist verschwunden. Auch ihre Tochter. Und ich bin doch ihre Lehrerin. Vor vier Tagen habe ich eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Aber mir hört ja keiner zu! Da ist bestimmt etwas passiert. Mechthild wäre nie …«
    »Langsam«, unterbrach Goldstein die junge Frau. »Erzählen Sie alles von Anfang an.«
    Anneliese Schaller holte tief Luft und berichtete Goldstein vom Verschwinden Mechthild Krafzyks. »Und sie ist seitdem nicht wieder aufgetaucht«, schloss sie. »Ich war heute Morgen auf der Polizeiwache in Eickel.

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