Persilschein
Dort hat man mir geraten, nichts zu überstürzen. Vielleicht sei sie ja tatsächlich in Urlaub gefahren.« Sie schüttelte verächtlich ihren Kopf. »Pah! Urlaub. Außerhalb der Ferien? Das würde Mechthild nie tun. Ich habe an ihrer Arbeitsstelle angerufen. Zunächst wollte man mir keine Auskunft geben, schließlich habe ich doch erfahren, dass sie seit Montag nicht mehr zum Dienst erschienen ist. Sie ist verschwunden.« Unvermittelt begann sie zu weinen. »Sicher ist den beiden etwas zugestoßen. Bitte helfen Sie mir.« Anneliese Schaller griff in ihre Handtasche, zog ein Taschentuch hervor und trocknete ihre Tränen. »Verzeihen Sie bitte. Aber ich mache mir wirklich große Sorgen.«
»Wo ist Ihre Freundin zu Hause?«, wollte Goldstein wissen.
»In Hordel. Eigentlich schon fast in Eickel.«
»Wo genau?«
Anneliese Schaller nannte die Adresse.
Goldstein griff zu einem Stadtplan und stutzte. Tatsächlich. Mechthild Krafzyk wohnte nicht weit von dem Grundstück entfernt, auf dem die Leiche Knut Lahmers gefunden worden war.
»Wann waren Sie mit Ihrer Bekannten verabredet?«
»Am letzten Sonntag.«
Lahmer war vermutlich in der Nacht zum Donnerstag ermordet worden. Einige Tage später verschwindet eine Frau, die ganz in der Nähe lebt. Zufall? Goldstein fasste einen Entschluss und stand auf. »Kommen Sie«, sagte er zu Anneliese Schaller. »Wir fahren zu der Wohnung Ihrer Freundin.«
Der Fahrer parkte das Dienstfahrzeug und der Hauptkommissar und seine Begleiterin stiegen aus. Anneliese Schaller zeigte auf ein Fenster im Erdgeschoss eines dreistöckigen Gebäudes, von dem immer noch Teile des Dachstuhls fehlten. »Dort wohnt Mechthild«, sagte sie.
Goldstein ließ seinen Blick über die Fassade wandern und für einen Moment glaubte er, etwas hinter einer der Gardinen wahrgenommen zu haben, eine schnelle Bewegung, nicht mehr als ein Schatten. Nein, er musste sich getäuscht haben.
Sie liefen zur Haustür, die mit einem Keil gegen das Zufallen gesichert war. Im Flur war es kalt, feucht und es roch muffig, so wie in vielen Häusern, die nicht ausreichend geheizt wurden.
Sie stiegen die vier Stufen bis zur Wohnungstür Mechthild Krafzyks hinauf.
»Hier ist es«, meinte Anneliese Schaller. Sie blieb in einem Sicherheitsabstand vor der Tür stehen, ganz so, als ob sie sich vor dem, was möglicherweise dahinter verborgen war, fürchtete.
Goldstein zögerte nicht, sondern drückte leicht gegen das Türblatt. Knarrend schwang es auf. Er gab der jungen Frau mit einer Geste zu verstehen, dass sie warten solle. Dann betrat er die Wohnung.
Der Flur war unbeleuchtet. Nur durch eine geöffnete Tür fiel Licht. Goldstein sah in den Raum hinein. Die Küche. Auf dem Tisch zwei Tassen. Teller. Etwas Brot, Margarine und Marmelade. Ganz so, als ob er beim Essen gestört hatte. Er trat näher, berührte eine Tasse. Zu seiner Verblüffung fühlte sie sich warm an.
Sie hatten tatsächlich jemanden aufgeschreckt.
Eilig inspizierte er die anderen beiden Zimmer der Wohnung. Ohne Erfolg. Zurück im Treppenhaus fragte er: »Hat Ihre Freundin einen Keller?«
»Soweit ich weiß, ja«, antwortete Anneliese Schaller. »Dort hinten ist, glaube ich, der Eingang.«
»Warten Sie hier.«
Der Keller bestand aus einem großen Raum, aufgeteilt in einzelne Verschläge, die mit Holzlatten voneinander abgetrennt waren. Langsam ging Goldstein an den Kammern vorbei, versuchte im funzeligen Licht etwas auszumachen.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Anneliese Schaller war ihm trotz seiner Bitte gefolgt. Sie blieb stehen und rief vernehmlich: »Mechthild? Bist du hier? Ich bin’s. Anneliese.«
Einen Moment blieb es ruhig. Dann drang ein Rascheln aus den Verschlägen.
17
Freitag, 29. September 1950
In seinem Büro ließ sich Wieland Trasse mit Kriminalrat Saborski verbinden. »Ich wollte mich bei dir bedanken«, begann er, sobald er den Polizisten an der Strippe hatte.
»Ich entnehme deiner Aussage, dass alles zu deiner Zufriedenheit gelaufen ist?«
»Das kann man wohl sagen. Sie haben mich als ›minderbelastet‹ eingestuft.«
Saborski lachte kurz auf. »Die Gerechtigkeit siegt fast immer.«
»Das hast du schön formuliert.«
»Die Aufstockung meiner Anteile …?«
»Habe ich bereits veranlasst. In Kürze wird mein Notar die Überschreibung vornehmen.«
»Vergiss es nur nicht. Ich könnte sonst …«
»Du musst mir nicht drohen«, unterbrach ihn Trasse. »Auch nicht indirekt. Ich stehe zu meinem Wort.«
»Dann brauchen
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